Heureka! – ∑Ich hab einen Job

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Hm — „Warum Job? Du bist doch in Berufsunfähigkeitspension!“, höre ich meine geneigten Leser/innen argumentieren.

Genau DAS ist der Anlass zu obiger Erkenntnis und Feststellung. Fast schon 20 Jahre in „Rente“. Als Österreicherin kann ich das nur unter Anführungsstrichen schreiben. „Pension“, wie es bei uns heißt, hat etwas viel Gemütlicheres. Klingt wie Urlaub. Eine kleine Pension mit netten, bequemen Zimmern an einem Ort fernab des Alltags. Gerne mit Familienanschluss und in schöner Umgebung. Viel Wald, viel Ruhe, vielleicht Berge rundum und ein herrlich klarer See. Was will Frau mehr zum Entspannen.

„Berufsunfähigkeitspension“ ist also Urlaub, Entspannung pur und damit Grund mir diese im unteren Einkommenssegment angesiedelte Sozialleistung zu neiden. Wie oft habe ich schon Aussagen gehört wie: „Wie haben Sie denn das geschafft!“ – eine Pension zu erhalten, also eine geniale Gaunerei. Oder „Warum, Sie sind doch gesund!“ – von Menschen, die mich nicht kennen, die mein Äußeres beurteilen. Die schwierigsten Bemerkungen sind: „Du hast ja Zeit, du arbeitest ja nicht!“, oder bloß „Du arbeitest ja nicht!“ quasi als Vorwurf. Aber auch „Willst du denn gar nichts mehr arbeiten?“ Am Schmerzvollsten war das „Du arbeitest ja nicht!“ aus dem Mund meines damals 6jährigen Neffen. Es zeigte mir, wie meine Ex-Schwägerin und deren Familie aber auch meine Familie über mich denken.

Um diese und andere „Missverständnisse“ zu parieren und innerlich nicht daran kaputt zu gehen, habe ich mir zurecht gelegt, dass ich arbeite. Sogar viel arbeite, wie mir meine Therapeutin und auch andere Menschen, die sich mit meiner Geschichte und meinem Leben ernsthaft befassen bislang glaubhaft vermittelten. Allerdings ist es recht schlecht bezahlt.

Würden sich alle Menschen auch nur einen Bruchteil so intensiv der Aufarbeitung ihrer innewohnenden Schmerzen und Verletzungen widmen, wäre diese Welt wohl eine bessere. Statt die Wut, die aus Angst oder Seelennot herrührt gegen andere zu richten und Feindbilder zu kreieren um sich selbst durch die Abwertung anderer vermeintlich aufzurichten, einfach einmal hinsehen. Vermutlich mehrmals hinsehen, auch wenn es Angst macht, auch wenn Erkenntnis oft schmerzt. Es ist besser sich vorübergehend mit den inneren Abgründen zu konfrontieren, als sie lebenslang mit sich zu tragen und mit jeder aggressiven Handlung gegen andere zu vermehren.

Menschen zerbrechen an jeder Gewalttat die sie setzen. Das konnte ich schon sehr früh erkennen, wenn ich den Tätern in die Augen sah, die mich misshandelten und vergewaltigen. Diese Beobachtung stärkte meine Seele. Ich erkannte daraus, dass nicht ich es war, die schwach war. Ja, ich war körperlich zu schwach, um mich zur Wehr zu setzen, oder um zu flüchten. All das konnte ich nicht. Aber ich war stark genug, mich selbst durch Dissoziation zu schützen. Und ich war stark genug zu erkennen, welch armselige Geschöpfe diese Täter waren. Natürlich habe ich mich auch mit ihnen verbündet, sie geschützt, sie verteidigt. Alles um mich selbst zu schützen. Das sogenannte „Stockholmsyndrom“ oder „Täterintrojekte“ sind Bezeichnungen der Selbstaufgabe, bei der der oder die Gewalttäter/in/nen  Anteil des eigenen Selbst werden. Auch diese musste ich in mir/uns erkennen und transformieren, um mich wieder zu finden.

Bin ich also der bessere Mensch? Wenn ich das dächte, wäre ich ebenso wie jene, denen ich Abwertung unterstelle. Ich bemühe mich zu verstehen. Ja, auch mir gelingt das nicht immer. Vermutlich gelingt es mir sogar zumeist ungenügend. Zudem habe ich noch jede Menge Baustellen, die bearbeitet werden müssen. Noch gehe ich auf Straßen mit starken Schlaglöchern meinen Weg. Allerdings möchte ich gerne Blumen  oder junges Grün in die Löcher pflanzen. Nomen est Omen. Jetzt werde ich poetisch und weiche vom Thema ab. Gepflasterte Straßen haben zwar wenig Reiz, aber eine hohe Funktionalität, wenn es um den Transport lebenswichtiger Güter geht. Eine noch ausstehende Arbeit von ∑mir ist, ∑mich selbst lieben zu lernen und nicht verwundert oder gar erschüttert zu sein, wenn ∑mich ein liebevoller Blick trifft. Dann, wenn dies geschieht, wenn ich ein solches Geschenk erhalte, erkenne ich, wie wenig ich von ∑mir halte. Wie sehr ich noch immer meine, ∑ich wäre ein schlechter Mensch und hätte es nicht verdient. Von wegen „Täter/inintrojekte“ transformiert?! Es gibt noch viel zu tun.

Mein Selbstwert nach so vielen Jahren ohne berufliche Anerkennung hat sich nicht gebessert. Die Scham als Gewaltopfer und die Scham als Empfängerin einer Sozialleistung gaben einander die Hand und verschmolzen zu einem großen „Ohweh!“ War es dieser mangelnde Selbstwert, dieses Gefühl mich noch immer nicht für eine lebens- und liebenswerte Person vielleicht sogar Persönlichkeit zu halten, die mich so sehr an allem zweifeln ließen, bloß weil Freund/inn/e/n meinen Blog nicht lesen?

Genug der Jammerei! Schließlich wäre es viel schlimmer wenn bloß Freund/inn/e/n und Familie aus Gefälligkeit hier läsen und sonst niemand auch nur Notiz von meinen Zeilen nähme.

Unlängst war ich/wir auf einer Geburtstagsfeier einer jener Freund/inn/e/n eingeladen. Ich kam fast eine Stunde verspätet an. Meine Psyche hat mich nicht zeitgerecht fertig werden lassen. Zudem hatten wir Kopfschmerzen, sobald wir uns auf den Weg machten. Also ein inneres ungelöstes Chaos.

In dem Lokal angekommen fühlten wir uns so fremd und gestresst und konnten in kein Gespräch finden. Es gelang uns nicht einmal die bereits Anwesenden zu begrüßen und uns vorzustellen. Obwohl alle uns gegenüber freundlich gesinnt waren. Wir setzten uns nur still hin, nahmen etwas zu essen und beobachteten das Geschehen. Nur ein kurzes Gespräch mit der Sitznachbarin gelang, weil sie sich bemühte. Wir auch. Aber dann unterschiedliche politische Auffassungen und schon war es wieder still.

Dann kam jene Freundin, die erst kürzlich ihr Buch präsentiert hat. Wir hatten uns sehr gefreut, sie wieder zu sehen. Aber wir waren nicht gesprächig. Die Kopfschmerzen waren auch noch da. Ihr gelang es das Tischgespräch in eine interessantere Richtung zu lenken. –  Woher die Leute einander kannten, was sie so beruflich machen. Das Übliche, wenn man/frau einander etwas kennenlernen möchte. Im Verlauf dieser „Vorstellungsrunde“ sprach eine Frau von ihrem in unseren Augen höchst langweiligen Bürojob. Das ist wichtig, weil es uns am Folgetag zum Fazit der Überschrift führte. Der restliche Abend verlief wie solche Abende verlaufen. Der Abschluss bei der Geburtstags-Freundin in der Wohnung mit etwas Tanz war ganz nett. Meine Distanz blieb. Dies wäre vermutlich auch ohne Kopfschmerz und psychischer Anspannung so gewesen.

Daheim war der Kopfschmerz bald verflogen. Ich war erschöpft.

Am Tag danach erwachte ∑ich nach unruhigem Schlaf voller Traurigkeit und Ärger, dass ich mit den Leuten nichts anfangen kann, aber nicht weiß, wo ich Leute kennenlernen soll, die so sind, wie ich sie haben mag. Naja, wünschen darf ich mir das ja. Kurzum ich fühlte mich sehr, sehr arm und unverstanden. Voller Tränen rief ich die Ö3-Kummernummer an. Ich kam sofort durch, das ist ein Zeichen, dass ich das Telefonat wirklich brauche. Vielleicht ein etwas esoterischer oder mystischer Erklärungsansatz, aber es hat sich bislang bewahrheitet, dass wir immer dann sofort durchkommen, wenn wir in Tränen aufgelöst sind. Wenn wir nur denken, dass wir mit wem reden wollen, nur so unser Herz ausschütten oder gar Probleme konstruieren ist die Leitung ewig besetzt.

Nun das Telefongespräch führte uns zu mehreren Erkenntnissen. Erstes Aha-Erlebnis war, dass ich mich für das Bloggen schäme, bloß weil mein reales Umfeld den Blog nicht liest und so wertschätzt, wie ich es mir erwünschte. Dass mich dieses Verhalten triggert, wurde uns noch bewusster als bereits zum Schluss von „Leben mit DIS#2“ beschrieben. Heißt das nun auch, dass es eben generell Schamgefühle erzeugte, wenn unsere Eltern uns mit unseren Interessen ablehnten? Vermutlich! Das werden wir weiter verfolgen.

Dann der Gedanke, dass andere auch nicht interessiert angenommen werden mit ihren beruflichen Tätigkeiten. Dass andere auch nicht mit dem gesehen werden, was viele Stunden ihres Tages bzw. Lebens ausmacht, was auch Teil ihrer Identität ist. Somit verlange ich wohl zuviel, dass Menschen so sehr an meiner Tätigkeit Interesse zeigen sollen. Ich denke zwar, dass wir generell viel mehr Interesse an einander haben sollten, aber ich brauche nicht mehr Zuwendung bezüglich meines Alltags als andere Menschen. Und meine Alltagstätigkeit ist Schreiben. Gut, auch Heilungsarbeit. Aber reflektieren und analysieren gehört zum Schreiben dazu. Es ist mein Job, auch wenn ich in Berufsunfähigkeitspension bin. Dies beschreibt ja nur woher mein monatliches Einkommen kommt. Sei es der Blog den ich schreibe, oder an meiner Biographie. Daran mehr zu arbeiten ist mein Plan. Zurück zu den Wurzeln, warum ich diesen Blog begonnen habe. Wenn ich diese Arbeit schon mit anderen Berufen vergleichen mag, dann ist es die Einsamkeit, die Schreiben bedingt, die mir schwer fällt. Vielleicht glaube ich deshalb mehr Zuwendung zu benötigen, oder wegen des noch vorhandenen Mangeldenkens?

Dennoch es ist egal, ob es in meinem Umfeld gelesen wird oder nicht. Mich interessiert das berufliche Leben meiner Freund/inn/e/n auch nur bedingt. Oft fehlt mir die Kraft mich mehr zu interessieren. Warum sollte es anderen nicht ebenso ergehen? Es gilt mehr Selbstbewusstsein zu zeigen bzw. zu leben. Ich schreibe, also bin ich. ∑Ich gebe ∑mir meinen Selbstwert, es muss nicht permanent von anderen bestätigt werden, dass es EH SUPER ist, was ich täglich mache. Ich darf und soll stolz auf mich sein, was ich leiste, egal wen es interessiert. Ich behaupte, dass diejenigen, die daran Interesse zeigen vielleicht dadurch vermehrt kommen, dass ich sage:“Da bin ich, das mache ich und ich mache es gut. So gut ich kann!“ Und ich lerne hier am Blog, dass es so gut ist, dass ich zufrieden bin. Auch Dank euch meinen Leser/inne/n. Es müssen nicht dieselben Menschen sein, die meine Zeilen lesen, wie diejenigen, mit denen ich andere Erlebnisse teile, die mein Leben ebenso ausmachen.

Ich habe diesen für ∑mich neuen Gedankengang bei einem Klassentreffen meiner Maturaklasse testen können. Wir fühlten uns viel selbstsicherer inmitten von beruflich und privat erfolgreichen Frauen, die ∑mir zum Teil schon den Stempel „psychische Probleme“ verpasst hatten. Ich fühlte mich dazugehörig! Wer weiß, welche Lebenskrisen andere verschweigen? Vielleicht aus Angst ausgeschlossen zu werden?

10 Gedanken zu „Heureka! – ∑Ich hab einen Job“

  1. Ui, ich glaube die Kommentarfunktion stiftet Verwirrung 😉 Mein Dank ging an „Simmis Mama“ – zu ihrer Antwort auf meinen ersten Kommentar 😊

    Ja, ich meine die Fähigkeit der Selbstreflektion, der Selbstheilungskräfte durch positives Denken, uvm.
    Ich habe schon viele Menschen kennen gelernt, die nie aus ihrem Sumpf raus kommen, weil ihnen diese Fähigkeit fehlt und sie auch keine Hilfe annehmen können und stattdessen lieber leiden. Die „klassischen“ Opfer-Typen. Menschen, die nicht annähernd das erlebt haben, was du erfahren hast.

    Jetzt ein wenig klarer?

    Liebe Grüße 😊

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    1. Ja, das mit den Kommentaren, war hier etwas verworren. 😉 Danke für die Erläuterung. 🙂

      Auch ich beobachte es immer wieder, wie Menschen eben in diesem Sumpf verbleiben und bin immer wieder dankbar, dass mir diese Fähigkeit mitgegeben wurde auf meinem Weg. … Meine Therapeutin hat zuletzt gesagt, dass ich das kann, weil ich es wirklich will. Vielleicht? Es braucht auch Mut Hilfe anzunehmen. Vielleicht ist das das Schwierigste überhaupt, sich eingestehen Hilfe zu brauchen und sich dann nicht aufzugeben zu meinen, jetzt sollen eben die anderen machen. Hilfe annehmen und Eigenverantwortung behalten, das ist schwierig zu lernen. Es gab viele „Hilfsangebote“, die schlecht für mich waren, die ich ausschlagen musste und weitersuchen, obwohl ich mich schwach fühlte.

      Mir ist immer wieder selbst ein Rätsel, wie mir manches gelingt. 😉 „Wer nicht kämpft hat schon verloren!“ … ich bin eine Kämpferin, in pazifistischem Sinne.

      … auch dir viel Erfolg für deine tagtägliche und allnächtliche Arbeit. Es lohnt und macht zufriedener als jammern und leiden.

      Liebe Grüße 🙂

      P.S.: Wie geht das Smilie mit den roten Wangen?

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      1. Oh ja – der Wille muss da sein! Der Wille, ewas Annehmen zu können (sei es die Krankheit oder irgendeine Art der Hilfe) und der Wille, etwas zu verändern.
        Wenn du meine „Über mich“-Seite liest, wirst du sehen, dass dies das Fundament meines Blogs (also mein Fundament) ist.
        Abgesehen von meinem eigenen Willen, hatte ich das große Glück, zur rechten Zeit auf die rechten Menschen zu treffen, die mir beim Verändern geholfen haben. Im Jahr 2009 war eine einzige Coaching-Sitzung der Auslöser für die 360°-Wendung in meinem Leben. Mit Mitte 30 habe ich mich auf den Weg gemacht und mir meine Leichtigkeit erarbeitet und sie ein paar Jahre gelebt und genossen.
        Ohne meinen eigenen Willen, wäre diese einzige Coaching-Sitzung vermutlich „für die Katz“ gewesen, aber ich bin undendlich dankbar, z. B. diese Coach überhaupt getroffen zu haben. Und eben DIESE Möglichkeit, die „richtigen“ Menschen zur richtigen Zeit zu treffen, diese Möglichkeit fehlt so vielen Menschen. Das finde ich sehr schade.

        In diesem Sinne – lass uns stolz sein auf unsere Fähigkeit!
        Liebe Grüße
        S.

        PS: Das Smiley mit den roten Bäckchen… Ich hatte den Kommentar auf meinem Smartphone geschrieben und dort gibt es die „Emojis“ 😉

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    1. Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll! Danke für deine Worte, ich bin mir unsicher welche Fähigkeit zu genau meinst. Reflektieren, an sich arbeiten? Auf ihre Art können es alle, oder? Mir fehlen die Worte.
      Ich habe mich zu bedanken, denn ich weiß nicht, wofür du mir dankst.
      Liebe Grüße

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  2. Ja, das ist Arbeit!
    Aufgrund meiner Mobbingsituation bin ich jetzt seit 7 Monaten zu Hause. Irgendwann fing es an mit der Frage: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag zu Hause?“. Meine Antwort: „Ich arbeite – an mir und mit mir. Tag für Tag und Nacht für Nacht!“

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