Ist es erlaubt von schwersten Gewaltfolgen zu genesen?

Welche Frage stelle ich hier? Ich meine dies jedoch absolut ernst. Die Schwierigkeiten die eine Genehmigung der Psychotherapie für Opfer schwerster, auch sexualisierter Gewalt beginnend im Kleinkindalter macht, brachte mich zu dieser suggestiven Frage. Natürlich, wer bitte könne mir verbieten zu genesen. Verbieten nicht, aber sehr erschweren bis unmöglich machen.

Auslöser für diesen Beitrag ist ein Albtraum der mich quälte. Die Überlegung, welche Botschaft mir mein Unterbewusstsein senden wollte, welche Bedeutung darin verborgen wäre, brachte mich zur Titelfrage.

Ich merke mir meine Träume kaum. Eigentlich weiß ich bloß dass ich geträumt habe, wenn ich vor Schrecken erwache oder wie heute vom Wecker aus einem Traum gerissen werde.

Ich träumte, dass ich in einer Wiener Amtsstube sitze. Eine jener Amtsstuben, die wohl seit 50 Jahren nicht mehr saniert wurden, mit wenig einladendem Mobiliar. Solche Ämter gibt es immer weniger, aber sie existieren nach wie vor. Vor mir eine Person bei der nicht auszumachen ist, ob sie weiblich oder männlich ist, die mich wegen meiner Traumafolgestörung DIS befragt. Unisex Kleidung und sie könnte mir ähnlich sehen. Die Befragung oder soll ich es Verhör nennen, denn es glich eher einer Beschuldigung oder dem Versuch mich einer verbrecherischen Handlung zu überführen, findet wie folgt statt.

Frage in strengem, feindlichem Ton: „Sie haben also DIS? Dann haben Sie ja Zeitlücken?!“

Meine Antwort: „Nein, ich habe keine Zeitverluste. Ich habe eine unvollständige DIS, … „

Die fragende Person gerät in Rage und unterbricht mich: „UNVOLLSTÄNDIGE DIS!! Was soll den DAS sein? Aus welchem Buch haben Sie denn das?“

Ich beginne meine Fingernägel in meine Unterarme zu bohren, um im Körper und handlungsfähig zu bleiben. Zwicke und kratze mich und kämpfe gegen Tränen und Zorn. Es schnürt mir den Hals zu und ich überlege, wie es mir gelingen kann zu entkommen.

Aufgebracht wendet sich die fragende Person von mir ab, während ich ob der aggressiven Atmosphäre gegen auftauchende Suizidgedanken ankämpfe und mir wünsche sofort vom Boden verschluckt zu werden oder mich aufzulösen. Aber ich bin schon zu gesund um zu einem demütig sich unterwerfenden Persönlichkeitsanteil zu switchen. Der Verbleib im Körper führt zu einer nahezu nicht zu ertragende Enge. Alles in mir brennt und würgt. Ich fühle mich über alle Maßen bedroht und verstehe nicht, was ich falsch gemacht habe.

Die oder der Fragesteller_in wendet sich im Raum anwesenden Personen zu. Es sind eine Frau und ein Mann, die fast einer Deix-Karikatur entsprungen sein könnten. Beide in unvorteilhafter billiger Tracht gekleidet, sitzen an einem nebenstehenden Tisch und warten, bis sie an der Reihe sind. Zu ihnen sagt die mich zuvor befragende Person suggestiv und aufgebracht: „Eine Frechheit, unvollständige DIS, was soll das!!!“

Das Pärchen hat sichtlich keine Ahnung von DIS und auch keine Ahnung davon, was hier vorgeht. Sie scheinen überhaupt wenig zu erfassen, außer der Tatsache, dass die/der Fragesteller_in hier die Macht hat über Wohl und Wehe. Dem Furor zustimmend rufen sie: „Eine absolute Frechheit!“

An dieser Stelle reißt mich mein Wecker aus dem Geschehen.

Ich erwache nervös. Mir ist so übel, dass ich mich fast übergeben muss und in meinem Kopf hämmert es. Ich bleibe noch eine Stunde liegen um etwas zur Ruhe zu kommen. Rolle mich zusammen und scheine emotional noch vollkommen in der Traum-Situation zu stecken.

Nachdem ich bereits aufgestanden war, finde ich noch immer nicht zu mir. Ich hatte mir für heute einiges vorgenommen. So wie ich mich aber nach diesem Traum fühlte, war daran nicht zu denken.

Was wollte uns der Traum sagen? Ich dachte, ich könnte Fragende und Befragte zugleich sein, obgleich ich mich in der befragten Person fühlte und die andere von außen erlebte. Aber die Ähnlichkeit der Fragenden mit mir?

20 Minuten Meditation führten uns zu einem verinnerlichten Hass auf uns selbst, oder vielmehr auf unsere Traumafolgestörung – DIS. Es sagte etwas über unsere Selbstzerstörungstendenzen aus, die uns derzeit daran hindern in der Nacht zu schlafen. Aber es war alles sehr diffus.

Dann setzten wir uns hin und versuchten herauszufinden, ob uns eine online  Traumdeutung weiterhelfen könne.

Zu Verhör fand ich folgendes:

„Verhör kann zu mehr Selbsterforschung auffordern. Konkret deutet es an, daß man vor einer Entscheidung oder Meinungsbildung noch mehr Informationen einholen muß, damit man keinen Fehler begeht.

Psychologisch:

Der oder die Träumende geht mit sich selbst hart ins Gericht und hinterfragt die Richtigkeit seines/ihres Verhaltens. Neben dieser Selbstanalyse kann sich durch ein Verhör auch der Wunsch nach stärkerer Einbeziehung in eine Gemeinschaft ausdrücken: Man hat etwas zu sagen und braucht Zuhörer.“ (zitiert nach http://www.traumdeuter.ch/texte/6829.htm)

Mit diesen Deutungen konnte ich zwar etwas anfangen was meine Ablehnung von DIS betrifft, allerdings war es ja keine eindeutige Verhörsituation. Ich war nicht bei der Polizei geladen, sondern auf einem Amt.

„Das Traumsymbol „Amt“ versinnbildlicht in der allgemeinen Traumdeutung die Reduzierung der eigenen Freiheit. Der/die Träumende kann nur teilweise nach seinen/ihren eigenen Wünschen handeln. In diesem Traum zeigt sich auch das Gefühl der Enge und der/die Träumende möchte am liebsten davonlaufen.

Geht die/der Träumende im Traum auf ein Amt, um etwas zu erledigen, so bedeutet ihm/ihr das Traumsymbol „Amt“ laut der psychologischen Traumdeutung, dass er/sie in der Wachwelt etwas für alle sichtbar machen möchte. D.h. der Traum signalisiert die Bereitschaft, sich nun endlich festzulegen.“ (zitiert nach http://traum-deutung.de/amt/ und gegendert von mir.)

Aha! Das passte ganz gut. Die Kopfschmerzen waren aber noch immer sehr stark, sodass ich eine Pause vom Denken machte. Während dieser Pause formte sich die titelgebende Frage und die Kopfschmerzen waren damit verschwunden.

Meine letzte Genehmigung zur Psychotherapie durch die Krankenkasse brachte Schwierigkeiten, die ich dachte als übliche Prozedur hinzunehmen. Aber offensichtlich verfolgte es mich bis in den Schlaf.

Obwohl der von der Krankenkasse gestellte Gutachter ein weiteres Jahr Psychotherapie befürwortete und meinte, dass wir dann weiter sehen, genehmigte der für mich Zuständige in der Krankenkasse nur für 6 Monate. Auf Nachfrage meinte dieser unter anderem, es könne ja nicht sein, dass Psychotherapie eine Lebensbegleitung sei und ich mache ja schon so lange Therapie.

Alleine die Tatsache, dass jemand am Schreibtisch anders entscheidet, als es der Gutachter, bei dem ich war meint, irritiert. Während des Gespräches mit dem mich begutachtenden Arzt war durchaus die Frage, ob ich denn absehen könne, wann die Therapie zu Ende sei. Es stresste uns sehr. Wir können es nicht absehen. Dennoch tritt die therapeutische Arbeit nicht am Stand und der Arzt war überaus verwundert, dass er bei den jährlichen Terminen immer wieder klare Besserungen erkennt, die ein Weiterführen der Therapie sinnvoll erscheinen lassen.

Aber wäre dem nicht so, selbst wenn ich auf der Stelle träte, selbst wenn Psychotherapie nur eine Möglichkeit wäre ein Leben in den eigenen vier Wänden und ohne Klinikaufenthalte zu erhalten, hätte sie meines Erachtens ihre Berechtigung.

Die Krankenkasse zahlt pro Therapiestunde ca. 22,- Euro. Ein einziger Kliniktag, der durch eine fehlende Therapie und dadurch Destabilisierung nötig werden könnte kostet ein Vielfaches. Ich denke mindestens das 10 bis 20fache. Die Therapie zu früh abzubrechen ist demnach weder ökonomisch noch menschlich zielführend.

Zu sagen ist zudem, dass es in Österreich meines Wissens nach keine Begleitpersonen oder Unterstützung für Schwersttraumatisierte gibt. Ich glaube in deutschen Blogs solches gelesen zu haben. Bitte um Verzeihung, falls ich da etwas falsch verstanden haben sollte und es gibt dgl. auch ich Deutschland nicht. In Österreich ist die ambulante Psychotherapie mitunter DIE Stütze für den Alltag. Traumakliniken gibt es nicht. Gelegentlich ist Therapie die einzige Hilfe, die Gewaltopfer haben. Ich möchte ins Gedächtnis rufen – was den meisten vermutlich klar ist – FAMILIE als Unterstützung fällt zumeist aus, da diese oft die Täter_innen sind und Schwersttraumatisierte ganz oft alleine leben. Sollten sie aber Kinder haben, wäre eine Psychotherapie noch dringlicher!

Zum Abschluss möchte ich noch auf die Aussage eingehen, dass Therapie doch keine Lebensbegleitung sein könne. Warum nicht?

Wenn davon ausgegangen wird, dass DIS als schwerste Traumafolgestörung nicht heilbar ist, dann ist lebenslange Unterstützung nötig. Allerdings sehe ich nicht, dass es so unheilbar ist, dass ein eigenständiges Leben ohne Dauermedikation und klinische Betreuung unmöglich ist. Das habe ich bislang bewiesen. Psychopharmaka haben mir nicht geholfen. Viele andere zum großen Teil selbst finanzierte Therapien sehr wohl. Die Krankenkasse leistet einen lächerlich kleinen Betrag zur Psychotherapie. Der weit größere wird mir von anderer Stelle gewährt, da ich als Verbrechensopfer anerkannt bin. Psychotherapie für Verbrechensopfer von Gewalt wird jedoch nur bezahlt, wenn die Krankenkasse ihr Einverständnis dafür gibt. Das bedeutet eine Institution die monatlich einen recht kleinen Betrag für eine adäquate Heilbehandlung beiträgt, urteilt darüber, wie lange sie diesen Anteil noch zahlen möchte und im negativen Falle fällt mir jegliche Unterstützung weg.

In Folge könnten wesentlich höhere Kosten für die Sozialversicherung entstehen, wenn ich klinische psychiatrische Betreuung bräuchte, die jedoch bestenfalls stabilisierend aber kaum heilend wirkt und ohne therapeutische Begleitung vielleicht mehrmals benötigt wird.

Bei somatischen unheilbaren Erkrankungen wie beispielsweise einer Niereninsuffizienz ist es eine Selbstverständlichkeit eine lebenslange Versorgung zu gewährleisten.

„Nachsorge und Folgemedikation der Transplantation kosten jährlich zwischen 6.000 und 12.500 Euro, die Dialyse dagegen je nach Methode zwischen 25.000 und 50.000 Euro pro Jahr und Erkranktem.“ (zitiert aus http://derstandard.at/1369363311262/Die-Zahl-der-Dialysepatienten-waechst)

Im Vergleich dazu sind die Kosten, welche die Krankenkasse für meine jährliche Psychotherapie übernimmt ca. 1.050,- Euro, wenn ich tatsächlich einmal wöchentlich eine Therapiestunde in Anspruch nähme. Urlaube verringern diesen Betrag noch. Ist das tatsächlich in einem reichen Land wie Österreich zuviel verlangt?

Es ist sehr schwierig für uns die Traumafolgestörung DIS anzuerkennen, wenn die Krankenkasse als ein Sprachrohr der Gesellschaft klar zu erkennen gibt, dass diese Erkrankung nicht wert ist lebenslang unterstützt zu werden, falls ∑ich es bräuchte.

22 Gedanken zu „Ist es erlaubt von schwersten Gewaltfolgen zu genesen?“

  1. Liebe Benita,
    zum Glück geht mein Computer jetzt wieder….so kann ich Dir auch was dazu sagen…
    Wie immer bin ich extrem empört über die Willkür der Entscheidungsträger in solchen Fällen (leider auch in anderen Fällen) Manche Menschen rieten mir bei meinen Empörungsanfällen mit Ämtern (ebenso wie Therapiegenehmigungen) keinesfalls zu erwarten, dass dort der gesunde Menschenverstand um sich greift.
    Diese Milchmädchenrechnungen z.Bsp. Therapie genehmigen und dadurch um ein vielfaches an Folgekosten einzusparen (wenn man solche Hilfen genehmigt) scheinen bei Krankenkassen, Ämtern und sonstige mit unseren Steuergeldern finanzierten Hilfesystemen – völlig unbekannt zu sein.
    Nach meinem Unfall (als ich nicht mehr arbeitsfähig war und auf staatliche Hilfe angewiesen war) hatte ich Haarsträubendes, Erniedrigendes, ja erneut Traumatisierndes erlebt – denn es geht ja um das existentielle Überleben (und da wird die Vergangenheit enorm getriggert). Ja, da kann man schon Albträume kriegen.
    Ich verstehe so gut all das worüber Du berichtest, denn auch mir geht es so, dass ich solches Unrecht einfach schlecht aushalten kann.
    Mit den Ämtern kämpfen ist absolut sinnlos. Die Lage ist übrigens in Deutschland genauso. Spare Deine Kraft und Kreativität für Nischenwege, Hintenrumwege, Nebenwege. Die Wahrheit zählt bei den Ämtern sowieso nicht – ich verstehe langsam warum so viele betrügerisch das soziale System unterwandern. Mit Ehrlichkeit kommt man da nicht weit, entweder sie glauben es nicht – weil sie von vorne herein glauben, dass man lügt und man will sich was erschleichen, oder sie sind einfach zu einfach gestrickt um zu begreifen.
    Nur ein jüngstes Beispiel aus meinem derzeitigen Leben: ich kämpfe gerade um meine Krankengymnastikscheine, die ich wirklich dringend brauche wegen dem Titangerüst (wurde nach gebrochenen Lendenwirbeln in die Wirbelsäule eingebaut), das mir seit dem Unfall immer noch Schmerzen macht und meine Physiotherapeutin hilft mir dabei mit weniger Schmerzmittel auszukommen….

    Ja, solche Menschen entscheiden über unsere Anträge zur Hilfe und freuen sich an dem bisschen Macht, die sie durch einem solchen Job noch haben. Es ist auch so vom System gewollt, dass man an solche Stellen „manipulierbare, einfache, nicht das Ganze überblickende“ Menschen setzt. Die kann man gut dort brauchen, sie sind die Umsetzer eines nur an die Kostensenkung denkenden Systems, denn wie überall geht es auch im Gesundheitssystem nur ums Geld.
    Ich fühle mit Dir Benita und wünsche Dir Durchhaltevermögen und Kraft und Kreativität.
    Liebe Grüße
    Melinas

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    1. Liebe Melinas,
      Danke für deine Worte, Die mir zum Teil aus dem Herzen sprechen. Ja, dass dieser Frust mit der Kasse auch retraumatisierend ist und daher Albtraum ist klar, danke fürs Erinnern. Ich hatte das nicht im Blick. Ich bin mit Ehrlichkeit schon weit gekommen, bloß aufregen hilft wenig.Mal sehen, wie es weiter geht.
      Kreative Wege sind immer gut.
      Alles Liebe dir und gute Nacht.
      Hab fast durch gemacht letzte Nacht und bin entsprechend müde.
      😉 🙂
      „Benita“

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  2. Die Gesellschaft denkt nunmal man könne sein Verhalten ändern. Das stimmt ja auch in einer gewissen Art und weiße aber bei dir geht es über eine „Ernährungsweise“ hinaus.

    Ich habe keine Ahnung was DIS ist. Durch dich (euch?) sehe ich und lerne ich was neues. Es schreckt mich nicht ab. Die Gesellschaft schreckt es aber ab. Treu nach dem Motto „was der Bauer nicht kennt frisst er nicht“.

    Ich deute deinen Traum, dass du (ihr?) keine Anerkennung findest. Das es schwer für dich (euch?) ist, jemandem unwissenden über euch aufzuklären, der euch schon vorab in eine Schublade gesteckt hat. Wenn ich mich auch recht entsinne hast du auch mal geschrieben, dass du das “ wir“ verschweigst. Es ging da um ein Teeny.

    Fällt es dir/euch schwer, euch zu outen? Ich kann mir gut vorstellen, das ihr euch als „normal“ empfindet und es sehr aufregend ist, wenn andere einen als abnormal definieren.

    Verzeiht mir bitte meine Neugier und dass ich so mit der Tür ins Haus falle. Ich bin nicht besonders talentiert sensibel zu sein.

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    1. Zunächst danke dir für dein Interesse. 😊 Ich denke, dass viele Menschen Angst haben sich mit Gewalt in der Familie,vor allem auch sexualisierter Gewalt an Kindern auseinander zu setzen. Was ich bin rührt an vieles Verdrängtes von etlichen Mitmenschen. Sehr viele Menschen haben Gewalt erlebt, aber in einem wesentlich geringeren Ausmaß. Das ermöglicht ihnen es zu verdrängen und dennoch einigermaßen „normal“ zu leben. Ich mit meinem Sein halte ihnen dann einen Spiegel vor, den viele Leute nicht ertragen, weil es an dem eigenen verdrängten Schmerz rührt, von dem sie nichts wissen mögen, weil es Angst macht.
      Und wenn Menschen Angst haben reagieren sie unterschiedlich, entweder mit Angriff oder mit Flucht. In Bezug auf mich bedeutet das, das ich vereinsame, wenn alle Leute vor mir fliehen oder dass ich mich aggressivem Verhalten gegenüber sehe, das mich aber wiederum in sehr schwierige Situationen bringt, weil es an meine Kindheit erinnert.
      Es ist also wichtig vorsichtig zu sein, wem ich erzähle und wann. Muss ich erst Vertrauen aufbauen, oder kann ich recht bald offen sprechen?
      Generell gebrauche ich das WIR nur in der Therapie. Es ist im persönlichen Gespräch auch problematisch „ausgefragt“ zu werden, wenn ich von DIS erzähle. Manchmal suchen Leute nur nach Gründen um mir dann erklären zu können, dass es alles doch gar nicht so schlimm ist und was sie doch alles erlebt hätten … die Empathie fehlt dann.
      Hier am Blog ist nachfragen erwünscht, sonst hätte ich das Kommentarfeld ausgeschaltet. Bei der Teeny habe ich mich nicht „geoutet“, weil hinter DIS immer extremste Gewalterfahrungen stehen und ich hätte es ihr nicht erzählen wollen, wenn sie nachfragt. Das kann ich nicht so einmal erzählen und dann bin ich nach einer Woche weg und sie kann nicht nachfragen, wenn es sie beschäftigt.
      Ein Problem ist auch, dass Menschen immer ein gebrochenes Opfer sehen mögen, absolut lebensunfähig, wenn sie an frühe und schwere Gewalterfahrungen denken.
      Das bin ich aber nicht. Oberflächlich gesehen ist uns nichts anzusehen. Die Leute sind vielleicht irritiert, wenn ich komisch reagiere, aber das geht als Tick durch und als distanzierteres Verhalten. Zudem bin ich überdurchschnittlich intelligent (ich mag nicht angeben) und das täuscht Menschen auch. Weil so ist ein Gewaltopfer nicht. Und schon werde ich dann der Lüge bezichtigt.
      Es ist also nicht bloß aufregend, sondern mitunter bedrohlich mich unachtsam zu „outen“.
      Das ist auch das Problem mit der Krankenkasse. DIS ist zwar mittlerweile eine anerkannte Traumafolgekrankheit, dennoch gibt es Psychiater, die meinen, dass wir ganz leicht manipulierbar wären von Therapeutinnen und wir leicht in ein Abhängigkeitsverhältnis kommen, wenn wir so lange bei einer Person in Therapie sind. Oder sie zweifeln innerlich an dem Krankheitsbild DIS. Zudem haben alle, die über die Notwendigkeit der Therapie für mich entscheiden keine Traumaausbildung. Das erscheint mir manchmal, als würde eine praktische Ärztin/Arzt ein Facharztgutachten erstellen, von dem eine lebenswichtige OP abhängt.

      Ich mach jetzt mal einen Punkt und hoffe, dass es etwas klarer ist. Ich merke an deiner Frage, dass ich vielleicht einen Beitrag schreiben sollte zum Umgang mit anderen Menschen im Alltag. Aber die Fragen sind wichtig, damit ich weiß, was schwierig zu verstehen ist. Das mit dem sich ändern und wie langwierig Heilung von extremer Gewalt ist, ist hier im Kommentar zu schwierig darzustellen. Vielleicht findest du in diesem Text von mir eine Idee, wie es ist.
      https://lebendigwerden.wordpress.com/2016/10/23/brainspotting-wut-trigger-und-warum-ich-ohne-yoga-nicht-leben-kann-oder-will/

      Herzlichen Dank nochmals und bitte frag einfach nach, falls du mehr wissen magst, oder etwas besser verstehen. Das freut mich wirklich. 😊 Ich hoffe, ich habe dich mit Information jetzt nicht erschlagen.
      Alles Liebe
      „Benita“

      Gefällt 2 Personen

    2. Jetzt möchte ich doch noch etwas anfügen. Tatsache ist eben wie du schreibst, dass es für mich „normal“ ist viele zu sein, oder zersplittert. Das bedeutet aber, dass es für mich ebenso irritierend und unverständlich ist, wie sich sog. gesunde Menschen verhalten, wie umgekehrt. Ich kann mich in euch auch nur schlecht einfühlen, weil es mir so fremd ist. DAS wird aber nie gesehen oder geachtet, welche enormen Anpassungsleistungen ich erbringen muss um in dieser Gesellschaft zu leben. Das kostet sehr viel Kraft. Bloß ich bin alleine mit einer glücklicherweise relativ seltenen Erkrankung (in Relation zur Gesamtbevölkerung).

      Liebe Grüße
      „Benita“

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      1. Ich danke dir 🙂
        Nein, du erschlägst mich nicht mit Informationen. Genau richtig zum richtigen Zeitpunkt 😀

        Der Umgang mit anderen Menschen fällt mir auch sehr schwer. Von daher fände ich es sehr interessant zu wissen wie deine vielen Persönlichkeiten auf eine reagiert. Ich brauch ja schon enorm viel Zeit, mich auf etwas einzulassen. Wie du das unter einen Hut bekommst… Unvorstellbar…

        Danke, das ich euch ein Stück weit kennen lernen darf. Für mich ist es eine große Bereicherung.

        Zwei Frage noch. Wie darf ich mich euch vorstellen. Seid ihr jede eine Persönlichkeit für sich, also mit vielen Eigenschaften oder hat jeder nur eine bzw. wenige Eigenschaften?

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          1. Gar nicht so einfach zu beantworten. Ganzer fühle ich mich mit dem „ihr“, ein du ist aber auch okay. … Und schon wieder etwas das ich näher erklären muss. … Ein DU ist generell die Einzelperson, die gerade heraußen ist. Das IHR bedeutet immer alle Innenwesen, oder halt alle die zuhören. Bei mir gibt’s aber auch so ein erweitertes ICH bzw. DU, das mehrere Innenwesen bezeichnet, die sich schon sehr nahe stehen, die aber noch nicht zu einer Person verschmolzen sind. Das ist, wenn ich ∑ich schreibe.
            Das ist aber als Ansprache zu schwierig. Also du oder ihr ist beides in Ordnung. 😊

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            1. Ich möchte, dass ihr wisst, dass ihr bei mir nichts ~müsst~. Wenn ihr euch mit den Anrede „ihr“ komplett fühlt schreibe ich ihr. Für mich stellt es nur eine Umstellung der Schreibweise dar. Wenn ihr dann irgendwann „du“ genannt werden möchtet, kann ich mich anpassen :). Ich respektiere euch einfach so wie ihr seid und ich denke, wenn ich schon von euch lernen darf, kann ich euch auch so ansprechen, wie ihr das gut findet.

              Mit den „Innenwesen“ begreif ich noch nicht ganz. Also vom Gefühl her nicht. Für mich bin ich ein ganzer Mensch mit vielen Facetten die auch Gegensätzlich sein können.

              Vielleicht verstehe ich es mathematisch?! Wenn ich und „du“ einer sind. Was seid Ihr? 4/1 oder 1/4? (Die Zahl 4 steht nur als Beispiel) oder auch ein ganzes?

              Wirklich, ich mag euch nicht triggern oder zu intim werden. Wenn es euch zu viel ist, bitte ich um ein ->stop<-.

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              1. 😊 Danke mit der Frage zur Anrede. Es hat uns noch nie jemand gefragt, wie eine Ansprache für uns angenehm wäre. Du bist tatsächlich die erste! ❤

                Wegen der Innenwesen. Ich hab jetzt kurz nachgedacht, wie ich das mathematisch darstellen sollte. Da hab ich keine Ahnung und müsste erst hineinfühlen, ob das überhaupt so geht und wie es evtl. darzustellen wäre. So einfach mit 1/4 oder 4/1 ist es nicht.

                Aber Gegenfrage: "Für mich bin ich ein ganzer Mensch mit vielen Facetten die auch Gegensätzlich sein können." hast du geschrieben. Wie kann ich mir das vorstellen? Also 1/1 … und was ist mit den Facetten, wie sind die zu definieren?

                Der Rest bitte gerne Fragen schicken und ich mach was kreatives daraus, das hoffentlich ein Bild von uns ergibt, irgendwie. Ich mag aber sagen, dass ich zwar Elemente von DIS beschreibe, aber das bin ICH/WIR. Andere DIS-Personen sind anders aufgebaut.

                Liebe Grüße und einen schönen restlichen Tag. 😀
                "Benita"
                P.S. Würde mich freuen, wenn du mir meine Frage zu den Facetten noch beantworten könntest. Herzlichen Dank dir 💚

                Gefällt 1 Person

        1. Deine Fragen sind wirklich sehr interessant, ich danke dir! 😊

          Ich versuche es etwas oberflächlich in dem Kommentar zu beantworten, mag dich aber gleich fragen, ob es für dich in Ordnung ist, wenn ich unseren Kommentar-Chat in einem neuen Beitrag übernehme und dann noch ausführlicher schreiben kann?

          Ich denke, dass es vielleicht andere auch interessiert, wo es im Kommentar untergeht.
          Ich mag einmal ausführen, dass ich eben eine „unvollständige DIS“ habe, das bedeutet, dass ich keine Zeitverluste habe. Hm, Zeitverluste heißt, dass eine Person quasi das Bewusstsein verliert und den Kontakt zum außen, wenn eine andere herauskommt und dann nicht weiß, was der Körper in der Zwischenzeit macht bis sie wieder draußen ist. DAS habe ich glücklicherweise nicht. Bei mir gibt es weitgehend Co-Bewusstsein. Das bedeutet, dass wir einander quasi zusehen können. Ich weiß, was sich den ganzen Tag bei mir abspielt. Das war meist bei mir so. Nur in Zeiten extremster Irritation hatte ich Zeitlücken. Meist aber nur für wenige Augenblicke, vielleicht eine Minute oder so. Fast ähnlich einem Blackout.

          Sehr viel Zeit für mich alleine ist das Erfolgsgeheimnis für einen einigermaßen unauffälligen Auftritt unter Menschen. Maximal drei Tage hintereinander kann ich außer Haus sein und das auch nicht den ganzen Tag sondern bloß so 5 Stunden max., dann tritt aber bereits absolute Erschöpfung ein. Und das kann ich auch nicht jede Woche machen. Also zwei bis drei Tage pro Woche außer Haus, das bedeutet unter anderen Menschen. Das ist eine gute Regelung für uns. Mehr geht schon immer wieder mal, wenn es Termine gibt, aber nur einmal mit mehreren Tagen Erholung danach.

          Wie es funktioniert, dass wir im außen nicht durcheinander purzeln wüsste ich auch wirklich gerne. Ich hab früher immer gesagt, dass es eine „graue Eminenz“ im System „Benita“ gibt, die das regelt. Ich glaube, die gibt es immer noch. Die hält sich aber im Hintergrund und ich kenne sie nicht wirklich. Mein Eindruck ist bloß, dass ich es nicht bin, die hier die Kontrolle behält. Immer wieder sehe ich uns zu wie Dinge getan werden, schwierige Situationen gemeistert werden und frage mich, wie das jetzt ging. Es kann aber auch alles scheinbar ganz reibungslos gelaufen sein unterwegs und sobald wir wieder alleine in der Wohnung sind folgt der Zusammenbruch und wir zittern, bekommen massive Kopfschmerzen, Fressattacken etc. Und brauchen dann evtl. Tage um uns wieder zu beruhigen. Das ist aber schon um sehr vieles besser geworden in den letzten Jahren und kommt in dem Extrem schon viel seltener vor.

          Vor kurzem haben wir aber entdeckt, dass einige Symptome, die wir als spezifisch DIS und Traumafolge dachten auch Menschen mit Hochsensitvitiät haben. (Die haben wir auch.) Da sind wir erst im erforschen, wo da die Unterschiede liegen. Ich denke, dass wir aufgrund unserer Hochsenitivität Atmosphären schwammartig aufsaugen und darauf instinktiv reagieren. Das machen alle Menschen irgendwie, aber wir bekommen mehr Eindrücke mit. … Wir könnten dazu noch ganz ganz viel schreiben. Das ist wirklich nur ein oberflächlicher Eindruck.

          Hinsichtlich der Eigenschaften der Innenwesen. Da gibt es alles. Von komplexen Persönlichkeiten mit vielen Eigenschaften, bis Personen, die nahezu nur eine Aufgabe haben und nicht viel mehr ist bei uns vertreten.

          Manchmal denke ich, dass wir durch das viele sein uns fast leichter durchschauen als Menschen, die das nicht sind. Die scheinen sich noch viel mehr ein Rätsel zu sein, als wir es sind. … Vielleicht täusche ich mich auch?

          Bitte nochmals um Info, ob es o.k. ist für dich, wenn ich deine Kommentare in einen Artikel einbaue. Ich kann jetzt auch nicht weiter Kommenatre beantworten, weils mir schon etwas viel ist.

          Falls du aber noch Fragen hast, die ich im Beitrag beantworten kann, bitte in die Kommentare schreiben und ich schaue was passt.

          Bis dann alles Liebe 😊

          Gefällt 2 Personen

          1. Ja, klar könnt ihr das in einem Beitrag verfassen. 🙂

            Mir fällt es gerade schwer nicht weiter drauf los zu schreiben weil tatsächlich viele parallelen auftauchen aber man muss ja nicht über stürzten. Alles in Ruhe und mit viel Zeit. 😀 ich freue mich drauf.

            Euch gute Erholung und auch viel Liebe. Bis dann

            Gefällt 1 Person

            1. Also die Prarallelen interessieren mich jetzt aber auch. Ich glaube ja überhaupt, dass wir Menschen alle ähnlich aufgebaut sind. Ich mag ja auch nicht DIS als Besonderheit im Kuriositätenkabinett zum begaffen und staunen, so wie früher kleinwüchsige Menschen auf Jahrmärkten bestaunt wurden.

              Bis bald. 😊

              Gefällt 1 Person

              1. Irgendwie hat das antworten nicht geklappt. Auch nicht das „rebloggen“ ich schickt dir mal den link wo ich dachte es angekündigt zu haben. Heute ist der Wurm bei mir drin 😉 liebe grüße

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  3. Liebe Benita! Ich finde das ebenfalls überhaupt nicht stimmig und gerechtfertigt, dass Therapie keine lebenslange Begleitung sein sollte! Ich schicke dir viel Kraft und Mut ❤ Alles Liebe für dich!

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    1. Liebe Melli,
      danke dir für deine Worte. ❤
      Ich finde es auch problematisch, dass ein Ablehnung von Therapie im Grunde zu einem mehr an Folgekosten führt, sei es über Psychiatrie oder körperliche Erkrankungen als Folge. DAS sollte alle interessieren, die ins Gesundheitssysthem einzahlen. Außer die Krankenkasse geht davon aus, dass sie Geld einsparen, weil sich doch einige Traumatisierte das Leben nehmen ohne Hilfe. Einen solchen grausamen Zynismus mag ich aber nicht unterstellen. Ich denke eher es ist der Unwille sich mit extremen Trauma ernsthaft zu befassen.
      Kraft und Mut sind immer gut.😊 Ich bin eine Kämpferin, allerdings hätte ich einfach gerne ausreichend finanzielle Mittel um von der Kasse nicht mehr abhängig zu sein. Ich hab schon so viele Jahre gekämpft. Irgendwann reicht's einfach. 😰
      Dir auch alles Liebe und eine wunderschönen Tag. ❤
      "Benita"

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      1. Ich denke auch, dass das Hauptproblem im Nichtauseinandersetzen begründet ist und dass leider oft zuerst an falscher Stelle gespart wird.

        In meiner Ausbildung wurde das Thema höchstens gestreift. Es gibt im Rahmen der Fortbildung nichtverpflichtende Seminare. Es kann aber sein, dass sich diesbezüglich in den Pädagogischen Hochschulen etwas geändert hat… Ich hoffe es sehr! Du leistest mit deinem Blog einen so wichtigen Beitrag und das obwohl für mich außer Frage steht, dass die Aufklärungsarbeit nicht die Aufgabe des traumatisierten Menschen sein soll. Kann und darf – aber kein Muss als zusätzliche Bewältigung.

        Das glaube ich dir!! Ich wünsche mir sehr, dass möglichst viele Menschen diesbezüglich bewusster werden, damit sich die Thematik gesellschaftlich wandelt!

        Ich danke dir und wünsche dir ebenfalls einen schönen Tag!! ❤

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        1. Danke dir für deine besonders lieben Zeilen. ❤ … Ich sehe es als eine Aufgabe von mir zu berichten. Auch aus Dankbarkeit dafür, dass ich so überlebt habe und genesen konnte, wie es dzt. ist. Und damit es weiter geht mit der Heilung. 😊
          Schön, wenn du meinen Blog als wichtigen Beitrag siehst zum besseren Verstehen. Das freut mich sehr. 😊 😊 🤗

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