Leben mit DIS/DDNOS #19: Meine verdrehte Welt

Situation 1: Aufgrund einer Verlassenschaft habe ich derzeit vermehrten Kontakt zu meiner Mutter. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil je selbstverständlicher ich für sie erreichbar bin, desto eher behandelt sie mich wie früher. Das bedeutet ich muss bei jedem Treffen darum kämpfen, dass sie respektvoll mit mir umgeht. Sonst behandelt sie mich wie ein Ding, ihr Eigentum mit dem sie machen kann, was sie will. Ihre Antwort zu ihrem Lebensgefährten, der meinte: „Wie sprichst du denn mit „Benita“?“: „Ich darf mit ihr reden, wie ich will, das ist meine Tochter!“ Ja, ich kann mich heute dagegen wehren und habe es getan! Allerdings mit mäßigem Erfolg.

Zusätzlich ist sie nämlich mittlerweile wieder dazu übergegangen mir bei jedem Telefonat oder Aufeinandertreffen zu erklären, welch wunderbarer Mensch mein verstorbener Vater war, der mich meine gesamte Kindheit bereits als Baby beginnend vergewaltigte, verkaufte für sexuelle Dienstleistungen und die gesamte Familie quälte mit seinem Sadismus und Jähzorn. Als ich ihr zuletzt sagte, sie solle damit aufhören, weil ich ihre Worte nicht so stehen lassen kann und wir dann nur streiten können, meinte sie: „Zu mir war er ja immer gut!“

Ich brauchte mehrere Tage und eine weitere Lobeshymne über ihn, die sie am Telefon sang, um zu erkennen, welch große Mutterliebe es bedeutet, wenn der Vater meine Kinder misshandelt und ihnen Gewalt antut, zu sagen, dass er zu mir als Mutter „immer gut war!“ Mir graut, wie wenig Liebe unsere Mutter für meinen Bruder und mich jemals hatte und bis heute hat.

Zudem erinnere ich sehr gut, dass sie einmal vor der Wohnungstüre stand, als ich bereits mit meinem damaligen Freund zusammenwohnte und mich anheulte, dass Papa sie gewürgt hatte und was sie nun machen soll. Nachdem sie mich eine Stunde angejammert hatte und sich ausgeheult, ging sie zurück zu ihm. Sie lebt in ihrer Phantasiewelt. Allerdings hat angesichts dieser Aussagen eine quälend vorgebrachte Entschuldigung wegen der sexuellen Gewalt unserers Vaters von ihr vor fast einem Jahr genau überhaupt keinen Wert mehr. So wie wir keinerlei Wert für meine Mutter haben, weil sie auch für sich selbst keinen Wert erkennt. Alles was mit Schmerz, Gewalt und Verantwortung zu tun hat, spaltet sie ab.

Ich überlege, wie ich mich angesichts der momentanen Situation rar machen kann. Leider werde ich sie unter Druck setzen müssen, dass ich sie mit der Arbeit um die Verlassenschaft alleine lasse, wenn sie mich weiter verletzt. Von sich aus ist nicht mit liebevollem Verhalten von ihr zu rechnen, nur wenn ich ihr drohe, dass ich weg bin. Sehr, sehr traurig.

2. Situation: Arbeitstreffen mit einigen Leuten der Baugruppe. Ich bin in einem Arbeitskreis für unseren zu errichtenden Gemeinschaftstreff im Wohnprojekt. Es ging um eine Namensfindung für unser Gemeinschaftslokal. Nach mehreren Runden Brainstorming blieb ein potentieller Name übrig, dem alle schriftlich zustimmten außer einer – außer mir. Als sich diese Erkenntnis ergab, war ich kurz nicht am Tisch. Ich kam retour und wurde von dem Ergebnis des Brainstormings informiert. Und dann meinte eine, dass fünf für diesen Namen gestimmt haben, aber wir sind sechs. Offenbar hab ich nicht dafür gestimmt. Nun wollten tatsächlich alle ganz ernsthaft wissen, ob ich mit diesem Namen denn leben könne, was mich daran stört und ob eine Lösung gefunden werden kann, die für alle stimmig ist.

Es war berührend für mich. Fünf Leute wollen einen Namen, nur mir gefiel er nicht so und alle bemühen sich um mich, nicht um mich zu überreden. Überzeugen schon auch, aber ohne Druck, mehr der Versuch meine Position zu verstehen. So etwas Schönes hatte ich in meinem Leben noch nie erlebt. Vielleicht auch, weil ich dabei blieb, dass mir andere Namen besser gefielen und meine Meinung auch vertrat und versuchte zu erläutern. Ich stand zu mir und niemand war böse. Letztendlich konnten sie mich wohl überzeugen, mit einer kleinen Abwandlung.

Es war ein Arbeitstreffen, aber in lustiger, gelöster, liebevoller Atmosphäre und es hatte ∑mich enorm viel Kraft gekostet. Gesehen zu werden, im Mittelpunkt zu stehen, wenn ich spreche. Dass dann so viele Augen auf ∑mich gerichtet sind und tatsächlich an meinen Worten interessiert sind. Nebenbei waren zwei Kleinkinder anwesend, wo mich vor allem eine schnell in ihr Herz geschlossen hatte und dann einige Zeit auf meinem Schoß saß. Also auch noch Körperkontakt zu Kindern. Das ist immer ein Trigger, obwohl sehr schön, trösten mich solche Begegnungen doch über meine Kinderlosigkeit hinweg.

Daheim angekommen, schlief ∑ich nahezu sofort erschöpft ein. Angezogen. Ich schlief fast 5 Stunden, bevor ich es schaffte mich fürs Bett fertig zu machen. Als ich aufwachte, war der Gedanke da: „Was ist wenn sie draufkommen, dass ich eigentlich ein schrecklicher Mensch bin!?“ Aber das denken sie glaub ich nicht. Ich glaube, dass schon die meisten wissen, dass ich irgendwelche Probleme habe, aber sie mögen uns dennoch, sie achten uns dennoch.

Wir haben uns immer so sehr gewünscht, von Menschen gut behandelt zu werden. Respektiert zu werden und einen freundlichen Umgang mit uns. Es wird einfacher werden es anzunehmen, dass es jetzt so sein darf. Wir wollen es lernen. Haben wir vielleicht etwas wie eine liebevolle „Familie“ gefunden? War es so anstrengend, weil wir nur einmal kurz geswitcht hatten? Das war als wir von dem einzigen Mann in der Runde, noch dazu auf englisch gefragt wurden, wie es uns geht. Er meinte es ernst und war an einer Antwort interessiert, aber wir gaben eine „Floskel“ noch dazu von einem Innenwesen als Antwort, was ihn irritierte.

Dazu denke ich, dass wir eine Geschichte mit England haben. Ich war noch nie in England, offiziell. Aber dennoch glaube ich dass der Körper schon in England war, dass es vielleicht mit Kinderprostitution zu tun hatte, als Kleinkind. Vielleicht fliege ich einmal nach London, obwohl wir extreme Angst vor dieser Stadt haben, aber warum? Irgendetwas muss gewesen sein. Also ist englisch sprechen ein Trigger. Dennoch kam es zu keinem Flashback. Es war relativ sicher. Ein schöner Abend.

Zum Titel dieses Beitrages: Es ist so verdreht, dass mich die Kämpfe mit meiner Mutter weniger stressen als dieses schöne Treffen. Dass schlecht behandelt werden noch immer so in mir verankert ist, dass ein freundlicher und sanfter Umgang mit uns erschöpfend wirkt. Vielleicht ist aber auch der Wechsel von einem Extrem ins andere, nahezu parallel das Anstrengende? Denn eines haben beide Situationen gemeinsam, ich funktioniere und tue so, als wäre nichts, überspiele Schwierigkeiten, lächle mich über Unsicherheiten hinweg. Aber es muss ja nicht immer alles erzählt werden, wenn ich sonst gesehen werde?! Ich bin verwirrt und freue mich darauf wieder weniger Kontakt zu meiner Mutter haben zu können. Und hoffe, dass wenigstens finanziell die Anstrengung mit meiner Mutter lohnt.

Dann wenn meine Mutter wieder über Monate keinen Anteil an meinem Leben haben wird, kann ich mich mehr auf meine zukünftigen Nachbar*innen einlassen und ich freue mich darauf.

37 Gedanken zu „Leben mit DIS/DDNOS #19: Meine verdrehte Welt“

  1. Liebe Benita! Ich wünsche dir/euch viel Kraft für die Verlassenschaftsangelegenheit und den Umgang mit deiner Mutter, deren Verhalten und Aussage mich sprachlos macht… Ich schicke dir eine Umarmung wenn du magst.

    Es ist schön zu lesen, dass die Gruppe sich so respektvoll verhält. Den Gedanken bzw. das Gefühl, dass alle irgendwann merken werden, welch ein schlechter Mensch ich bin, kenne ich. Alles Liebe für dich/euch!! ❤️

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    1. Liebe Melli,
      Dein liebe Umarmung nehme ich sehr gerne an und umarme dich ebenso. 😊
      Oh ja danke, Kraft für diese Verlassenschaftssache brauch ich wirklich. Ich hoffe es bis Ende September erledigt zu haben.
      Deine Erschütterung zur Aussage meiner Mutter trifft sich mit der Erschütterung meiner Therapeutin. Oft erkenne ich erst durch die Reaktionen der anderen, wie arg das Verhalten meiner Mutter ist. Danke dir dafür. 😊
      …. Ich kann mir sehr schlecht vorstellen, dass du ein schlechter Mensch bist, obwohl ich dich nur vom Blog kenne. Nach meiner Erfahrung sind „schlechte“ Menschen nicht in der Lage so empathisch und reflektiert zu sein, wie du. ……. Hm, das gilt jetzt wohl ebenso für mich, oder? 😉
      Alles Liebe dir ❤
      "Benita"

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      1. Liebe Benita!
        Ich drücke dir die Daumen, dass alles gut klappt und du es bald hinter dir hast! Ja das mit den Reaktionen anderer ist spannend… Ich habe auch oft erst daran gemerkt, dass es nicht normal ist wie meine Eltern mit mir umgehen. Danke für deine lieben Worte! ❤️❤️❤️ Das gilt bestimmt auch für dich!! Ebenso alles Liebe für dich!! Ich hoffe bald dazuzukommen dir auf die Mail zu antworten. ☺️ Einen schönen Tag ☺️❤️

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        1. Liebe Melli,
          Danke dir 😊😃💖
          Wg. des Mails mach dir bitte keinen Stress. Ich bin eine sehr langsame Mail Beantworterin und kann gut warten, wann immer es passt. Bzw. ich warte nicht, sondern freue mich wenn’s da ist und falls es sich gar nicht ausgeht, was soll’s. Ist mir lieber als es nagt an dir und sitzt jetzt immer im Hinterkopf ….. Obwohl mich deine Ansicht schon interessieren würde …..
          Auch dir einen sehr schönen Tag. 🎈🌻❤️
          Herzlich
          „Benita“

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          1. Das freut mich ❤️ Ich antworte dir bestimmt ☺️ es sitzt mir wenn positiv im Hinterkopf – freue mich auf‘s Antworten. Danke für die lieben Wünsche! 🌸🌼🌸🌼

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  2. Liebe Benita, das mit der Gruppe zum Wohnprojekt klingt gut und vielversprechend – ich wünsche Dir sehr, dass Du_Ihr Euch da gut einfinden und wohlfühlen könnt mit der Zeit!

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    1. Lieber Tomi,
      Ich danke dir sehr. 😊 Du würdest gut zu uns passen, denk ich. Wir sind ein LBGTIQ+ Projekt. 😀 Anderssein ist einfach normal hier. Und es ist spürbar, dass es viele kennen nicht zum Mainstream in der Gesellschaft zu gehören. Und die, die dazu gehören könnten von ihrer Lebensform her, fühlen sich dort offenbar auch nicht wohl und sind lieber mit uns.
      Leider bist du zu weit weg und noch dabei zu sein.
      Ich wünsche dir auch ein solches Nest, falls du solches möchtest. Ich bedauere etwas nicht mehr von dir zu lesen. Geht’s dir gut? Das wünschen wir dir von Herzen.
      Alles Liebe 🍀🕊️
      „Benita“

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      1. Oh, das klingt richtig toll! Ja, ich glaube sowas könnte tatsächlich auch etwas sein, was für mich passt. Momentan finde ich es ok, allein zu leben – aber ich fühle mich in dem Umfeld hier ziemlich unwohl, weil ich so anders bin als die, die hier sonst so leben.

        Ich kriege die Kurve mit dem Blog gerade nicht, aber hab mir fest vorgenommen, einen Beitrag zu schreiben solange ich noch Urlaub habe (also: nächste Woche). Aber mir geht es ganz gut, auch wenn vieles viel Zeit braucht.
        Liebe Grüße, Tomi

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        1. Das mit dem anders sein und nicht dazu gehören ist Kräfte raubend. Zumindest bei uns. Ich freu mich auf deinen nächsten Beitrag, aber wenn’s nicht geht, dann nicht. Manchmal braucht alles viel Zeit. Das ist mühsam, wird aber wieder besser. Das wünschen wir dir. Noch gute Erholung im Urlaub. Schön, dass es dir ganz gut geht. ☺️
          Herzliche Grüße 🍀
          „Benita“

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  3. Hallo , das mit England ist sehr interessant, denn wir haben im innen Leute die nur englisch sprechen, und eine die von sich sagt das sie aus England kommt, im perfekten englisch, wir haben keine Erinnerung jemals in England gewesen zu sein..danke für diese interessante Idee..lg

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    1. Bei uns ist das auch ähnlich. Mitunter verstehen wir englische Ausdrücke nicht und innen übersetzt eine. Leider glaubt ihr niemand, aber sie hat meist Recht. Der Kontakt zu diesem Innenwesen ist auch gestört. Ich höre sie selten.
      Da ist noch ganz viel anzusehen.
      Alles Liebe
      „Benita“

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    2. Wir haben im Innen auch einige, die nur englisch sprechen und einige, die beides (also englisch und deutsch) sprechen oder andere Sprachen. Ob wir je in England waren weiß ich nicht, haben aber auch Angst dorthin zu reisen, obwohl dort eine liebe Freundin von uns wohnt, die wir gern wiedersehen würden. Mir kam der Gedanke, dass es vielleicht auch wegen „Kunden“ (Tätern!) ist, die aus dem Ausland nach Deutschland kamen?! Vielleicht hat es auch mehrere Gründe.
      Liebe Grüße

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      1. Liebe bunte Sterne,
        Offenbar betrifft das doch mehrere Viele-Leute, dass es englischsprachige (oder noch andere Sprachen) Innenwesen gibt. Ich hab auch noch ein Mail bekommen. Das mit den Tätern aus dem Ausland klingt logisch. …… Bei mir gibt es noch damit verknüpfte Erinnerungen an einen Londoner „Geschäftsfreund“ meines Vaters, alles sehr skuril, den ich auch als Täter einordne. Und ich hatte bereits mit etwas über 1 Lebensjahr einen eigenen Pass. Wozu? Damals waren Kinder im Pass der Eltern eingetragen. …… Das ist ein eigener Beitrag und ein Bereich, der noch sehr im dunklen liegt bei uns.
        Alles Liebe euch 🙂
        „Benita“

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        1. Liebe „Benita“,

          wir haben uns mit dem Thema auch noch nicht näher beschäftigt, weil es einfach sooo viele Baustellen gibt.
          Aber ich habe auch schon mitbekommen, dass es einige Viele-Leute gibt, deren Anteile verschiedene Sprachen sprechen.
          Ich hoffe du hast gute Unterstützung, wenn du dich mit dem Thema (irgendwann) mehr auseinandersetzen „möchtest“. Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber mir macht das irgendwie etwas Angst.
          Ich wünsche dir einen schönen Sonntag! 🙂

          Alles Liebe
          Bunte Sterne

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          1. Danke, liebe bunte Sterne, 😊
            Es gibt bei mir aktuell andere Baustellen. Es war bei dem Beitrag da ist aber altuell nicht sehr nah. Es ist tlw. dissoziiert. Bzw. Wir sehen nicht hin, weil es doch vermutlich viel Kraft braucht. Etwas Angst haben wir auch. Es wird noch etwas dauern, bis wir uns dem Thema zuwenden können. Zuerst muss die Verlassenschaft erledigt werden. Also Anstrengung im Außen.
            Auch dir einen schönen Sonntag ,🌼💖🍀
            Herzliche Grüße
            „Benita“

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  4. Liebe Benita,
    es ist schon sehr interessant zu lesen, wobei das Wort interessant nicht ganz treffen ist, wie Du/ Ihr einen Beitrag schreibt. Mich fasziniert Dein Sprachstil und darüber hinaus Deine Geisteshaltung, die stark zum Ausdruck kommt. In Deinen Worten offenbart sich eine Qualität der Erziehung, eines Kindes aus einem gebildeten und gutbürgerlichem Hauses, trotz der Misshandlungen. Allein durch schulische Ausbildung und Studium, ist es für mich schwer vorstellbar, diese Wärme und Reichhaltigkeit eines Sprachschatzes, so vorzufinden.
    Du/Ihr musst noch etwas anderes erlebt haben, als dieses schreckliche Trauma (hoffentlich bezeichne ich es nicht falsch).
    Deine Mutter, ich spreche nicht für sie, auch nicht gegen sie, ich sehe sie nur als einen Baustein für und in Deinem Leben. Sie ist vorhanden, sie war vorhanden und sie wird es immer sein. Sonst gäbe es Dich nicht.
    Sie muss nicht gehört werden, einem Stein kann man nicht hören, akzeptieren schon. Denn er ist sichtbar. Weiter nichts. Ein Stein benötigt keine Antworten, kein Zuhören, aber Duldung. Ist es das was gelernt werden musst. Duldung?
    Kannst Du /Ihr Euch vorstellen, wenn der Stein, wieder zu Sand wird und Ihr den Sand durch Eure Hände rieseln lasst, dass Ihr dann Trauer empfinden könntet.
    Trauer, um eine nicht empfundene und erhaltene Liebe und Schutz?
    Einen lieben Gruß Hilde

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    1. Liebe Hilde,
      Ein herausfordernder Kommentar, auf den ich gerne eingehe. Ich beginne mit dem Schluss. Die Trauer um eine nicht empfundene und erhaltene Liebe und Schutz habe ich bereits hinter mir, sonst wäre mir ein Kontakt zu meiner Mutter unmöglich. Heute sehe ich mich mit ihr weitgehend im Reinen, den Umständen entsprechend. Den Vergleich mit dem Stein und dem dulden finde ich passend. Wenn ich also hier über meine Mutter schreibe, habe ich mir eben wieder die Zehe an diesem Stein angestoßen und es tut sehr weg. Wobei jedoch Steine nie von selbst ausschlagen, meine Mutter schon.
      Bzgl. gutbürgerliches, gebildetes Haus muss ich dich enttäuschen. Eher mittleres Bürgertum in meiner frühen Kindheit mit Abstieg in die Armut. Meine Eltern sind in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Allerdings haben beide dennoch die Chance auf eine relativ gute Ausbildung erhalten. Meine Mutter hat aber ihr Abitur nicht gemacht, mein Vater das Studium abgebrochen. Meine Eltern sind gescheiterte Parvenüs. Eine gute Ausbildung habe ich tatsächlich und meine Eltern waren bzw. sind nicht dumm, aber haben mit meiner Geisteshaltung nur bedingt zu tun. Sehr oft hörte ich von meiner Mutter: „Deine philosophiererei geht mir auf die Nerven.“ Meine Art Dinge zu hinterfragen wollten mir meine Eltern austreiben, mit Gewalt. Ein Studium haben sie mir nicht ermöglicht, auch keine Ausbildung, die meinen Neigungen entsprochen hätte. Sie haben mich in Schulen gezwungen. Wie du mich hier findest, bin ich natürlich auch ein Produkt meiner Erziehung. Vor allem der tatsächlich gutbürgerlichen Schulen, in die ich ging. Ich habe mir die guten Ansätze (Bildung) heraus gepickt. Ich habe Schule bis 14 Jahre geliebt, weil es ein sicherer Ort war im Vergleich zu daheim. Dann musste ich in eine verhasste Schule gehen, ein Schulwechsel würde mir verboten. Wenndu meinst, das haben sie gut gemacht. Wobei ich finde bedingt gut. Auch wenn ich natürlich ohne die Gewalt meiner Eltern heute vermutlich Karriere machen hätte können, mit meinen Fähigkeiten, die sie an mir gehasst und angehimmelt haben. Auch schwierig. …. Klüger sein als mein Vater war lebensgefährlich. War ich aber. Er war ein Selbstdarsteller und eitler Pfau mit wenig Selbstwert. Vielmehr ist meine Geisteshaltung mein Bemühen nicht so unreflektiert und gemein und primitiv gegenüber anderen zu werden, wie meine Eltern. Heutzutage wäre mein Vater wohl jemand, der anonym auf Facebook Leute beschimpft. Damals tat er es daheim vor dem Fernsehapparat und mit uns, seiner Familie. ….. Und ganz viel meiner Geisteshaltung ist auch durch langjährige Therapie geprägt, auch das ist ein wesentlicher Bestandteil meines Seins und Auftretens.
      Danke für dein Interesse und dein genaues Hinsehen und für dein Kompliment zu meinem Schreibstil. 😊 Das freut uns sehr.
      Herzliche Grüße
      „Benita“

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    2. P,S. Was dich vielleicht verwundert, aber Sexparties mit Kindern sind ein „Privileg“ der Oberschicht. Ich habe also in dieser Umgebung verkehrt. Vielleicht hat auch das abgefärbt. Die eigenen Kinder werden nur bedingt misshandelt, oder gar nicht, weil sie ja in der Öffentlichkeit stehen. Wobei es auch dort schlimme Schicksale gibt. Diese Leute kaufen Kinder von Menschen, wie meinen Eltern, die dazu gehören wollen, es aber nie dürfen. Die Hoffnung wird ihnen gemacht. Ich bin überzeugt, dass das relativ reiche Leben meiner frühen Kindheit auch zum Teil von mir „verdient“ wurde als Kleinkind, das verkauft wurde. Als ich älter wurde, bestand evtl. zu meinem Glück kein Bedarf mehr. Dann ging es finanziell wieder bergab. Mein Vater war kein guter Geschäftsmann und als Angestellter wegen seines Jähzorns nicht gerne gesehen. Meine Eltern sind/waren beide schwer psychisch krank. Intelligenz und Psychpathie schließen einander nicht aus. ….. Sexuelle Gewalt gibt es in allen Gesellschaftlichen Schichten, die Form unterscheidet sich, denke ich.

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  5. Liebe Benita, zwei Dinge in Deinem Beitrag haben mich sofort angesprungen – 1. das mit dem sich leichter tun mit dem Umgang mit Umgang mit der Mutter als mit neuen Situationen. Da fiel mir gleich ein, dass das bei mir ebenso ist und ich inzwischen dazu sage, dass es wohl die „Heimatgefühle“ (also Gewohntes übles Behandeltwerden) sind und wir jahrelang damit „Übung“ hatten.
    2. Deine Frage, die Du nach Innen stelltest: Sind wir ein schlechter Mensch? Du ahnst gar nicht wie oft ich mir schon diese Frage gestellt habe. Und überhaupt wie kann man bei solchen Eltern überhaupt ein guter Mensch werden – vielleicht blenden wir da ja wieder nur etwas aus? Bei all den „Schönfärbereien“ um uns und unser Schicksal zu ertragen – zeigen wir vielleicht nur immer die „guten“ Innens nach außen. Das beunruhigt mich auch.

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    1. Liebe Melinas,
      Ich denke, dass alle Menschen auch dunklere Anteile in sich tragen. Auch jene aus besseren Elternhäusern. Wenn es möglich ist, die Abgründe im privaten zu bearbeiten, aber nicht so zu zeigen, dass jemand zu Schaden kommt, ist das doch wunderbar. …. Ich halte das für eine gute Lebensaufgabe.
      Das tägliche meditieren, ein liebevoller und wunderbarer Mensch zu sein hilft mir diese Missachtung unseres Selbst oder anderer Innens zu mindern. Danke für dein Mail. Antwort kommt noch.
      Alles Liebe
      „Benita“

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  6. Tut uns leid mit eurer Mutter. Das ist so übel! Ich würd glaub ich auf das Geld (oder was es auch sei) lieber verzichten, um mir das nicht mehr anzutun… Unsere ist ja nicht besser, daher habe wir alles abgebrochen. Hat ewig gedauert, aber ich bereu das nicht. Die anderen hier, na ja, die haben Gefühle, haben mehr Schwierigkeiten mit… Aber es ist so viel besser für uns alle.

    Und diese Umkehr des Stress… Hmm uns machen Treffen mit anderen Menschen in Gruppe grundsätzlich nervös, wenn wir nicht ausweichen können. Ob nett oder nicht ist irrelevant…

    Ganz viel Kraft euch und liebe Grüße
    Vergissmeinnicht

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    1. Danke dir sehr. 😊 Ich kann deinen Umgang mit deiner Mutter sehr gut verstehen.
      Wir hatten 20 Jahre keinen Kontakt zu meiner Mutter und seit 8 Jahren wieder ungefähr einmal jährlich. …. Es führt hier zu weit auszuführen, wie es zum neuerlichen Kontakt kam. Und sie hatte sich ja entschuldigt. ….. Außer dem Geld aus der Verlassenschaft überweist uns unsere Mutter monatlich Geld. Sie zahlt für ihr schlechtes Gewissen und anderseits will sie permanent eine Absolution von mir. Kann ich ihr nicht geben, ich bin mir wichtiger als sie. Ich seh das Geld als Schmerzensgeld. Ohne ihr Geld könnte ich nie aus meiner lauten, stressigen Wohnung ausziehen. Also der Kompromiss, einmal jährlich Kontakt. Die Wohnung schadet mir und in sechs Wochen oder so hab ich das mit der Verlassenschaft erledigt. Mit geplantem Umzug ist das Geld wichtig. Mit einmal jährlich kann ich umgehen und es ist o.k., weil ich lerne auch ihr gegenüber zu mir zu stehen, ob’s ihr passt oder nicht und zu erkennen, dass sie mir im Grunde nichts mehr antun kann. Wir sind definitiv heute die Starkere. Und das Rückenstärken von ihrem Lebensgefährten tat auch wirklich gut.Und sie ist alt, wir wollten nicht, dass sie stirbt, ohne dass wir versuchen zumindest unseres zu sagen. Haben wir bereits. ….. Mal sehen, wie es weiter geht. Wenn sie mich selten sieht, hält sie sich ja sehr zurück und kann sogar manchmal o.k. sein.

      Tja, wg. den anderen…. Einsamkeit schmerzt irgendwann viel mehr als alle Nervosität in Gruppen. Es wird immer besser. ☺️
      Alles Liebe und Kraft auch für euch.
      „Benita“

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      1. Hmm, wir sind da glaub ich anders, aber ich kann euch verstehen. Geld hilft und Schmerzensgeld steht euch mit Sicherheit zu. Nur wurde ich deswegen ungerne so etwas ertragen. Vielleicht ist es zu unüberlegt von mir, nur fühlt sich der Gedanke für mich gerade an wie sich selbst zu verkaufen, vielleicht bin ich einfach zu stark vorbelastet. Aber ich würde eher sehr arm leben oder mich gar arbeiten qäulen. Vielleicht falscher Stolz von mir? Ich will von Mutter jedenfalls nichts haben und eben auch kein Kontakt.
        Aber wie gesagt, ich verstehe euch sehr gut und habe früher auch Kontakt ertragen, zwar nicht wegen Geld, aber wegen dem Gefühl es ihr schuldig zu sein, weil sie ja meine Mutter ist.
        Einsam fühle ich mich nicht. Hab mein Mann, hab auch Freunde. Aber ertrage eben höchstens eine Person in meiner Nähe und eben eine vertraute. Mit allen Bekannten/ Freunden ist Kontakt leider nicht drin, außer per WhatsApp. Aber vielleicht wird es ja wieder irgendwann besser.
        Ganz liebe Grüße 💖
        Ps. Es ist kein Urteil oder sowas. Nur meine Meinung, nicht mal die Meinung von uns allen hier. Hab euch lieb, egal wie ihr das handelt. So lange es euch damit gut geht, macht es gerne weiter so.

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        1. Ich kann dich wirklich sehr gut verstehen, auch dieses Gefühl sich zu verkaufen. Ich habe lange gehadert in Therapie und mit meiner Sozialarbeiterin gerungen, ob ich das Geld annehmen soll. Du hast offenbar weder vereinsamt noch in Armut gelebt über viele Jahre. Als ich das noch nicht hatte, wusste ich nicht, wie zermürbend es ist, wie verletzend und hindernd zu heilen. Ich war nie suizidal, aber diese finanzielle Not, ein Leben in Wohnungen ohne Bad oder Dusche, einsam und kaum jemand spricht mit dir, das zermürbt enorm. Das hätte ich mir früher niemals vorstellen können. Stolz ist gut, aber wenn’s selbst zerstörerisch ist, bringt das nichts. Zudem, wie gesagt, je rarer ich mich mache, desto mehr o.k. ist meine Mutter. Und es kommt sicher auch auf den Duktus an, wie das Geld gegeben wird. Ich habe kein Gefühl, dass sie mich kaufen will als solches. Sie kann nichts anderes geben als Geld. Liebe hat sie nicht. Sie ist meiner Ansicht nach auch sehr dissoziiert und je nachdem, wer gerade da ist, ist sie netter oder nicht. Will sie aber nicht verteidigen. Keinesfalls. Arbeiten hab ich versucht, das geht nicht. Sich zwingen ist leicht gesagt. Ich bekomme nicht Mal einen Nebenjob um mir was dazu zu verdienen. Dazu bin ich zu alt und war zu lange nicht im Job. Ich weiß nicht, wie alt du bist? Unser Leben ist halt nur zum Teil vergleichbar, aber nicht im Detail, zumindest nicht wenn nur eine Oberfläche bekannt ist, wie hier am Blog. Du kannst aber vermutlich gar nicht alle Details überlegen, weil dir vielleicht meine Erfahrungen fehlen und du andere hast, die vielleicht mehr belastet sind, wie du schreibst. Deine Entscheidung ist wunderbar für dich. Meine ist jetzt gut für uns, ein Kompromiss. Das Leben braucht oft Kompromisse.
          Liebe Grüße
          „Benita“

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          1. Ja, du hast Recht. Diese extreme Armut kenne ich nicht. Heute können wir auch nicht arbeiten, wegen Symptomen, haben aber früher gut verdient, die Rente reicht also zum überleben. Ohne große Sprünge und mit viel Sparen, und auch wegen der Rente unseres Mannes zwar, aber wir nagen nicht am Hungertuch.
            Allein hatte ich früher auch gelebt, aber das waren keine lange Phasen. Die Einsamkeit in der Kindheit ist uns jedoch gut bekannt. Genauso wie das Gefühl allein zu sein, trotz dass Menschen um uns sind. Gerade letztes setzt zu und lässt uns schnell die Situation verlassen, weil wir uns wie das 5 Rad am Wagen fühlen, oder eben anders getriggert werde, da reichen schon Blicke für aus.
            Und ja, Stolz der zerstört ist definitiv verkehrt.
            Ihr macht es schon richtig für euch.
            Ganz liebe Grüße

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            1. 😊 danke für dein Verständnis.
              Das mit dem 5. Rad am Wagen kenne ich gut, aber ich merke, dass das besser wird, wir uns dazugehörig fühlen, auch wenn’s noch sehr anstrengend ist. Das wünsche ich euch auch und wird mal kommen, wenn’s gut für euch ist. ….. Ich finde die unterschiedlichen Wege zur Heilung sehr interessant. Viele bzw. DIS Frauen und Männer sind halt ebenso unterschiedlich, wie auch Unos. Warum auch nicht?
              Alles Liebe dir 🏵️❤️
              „Benita“

              Gefällt 2 Personen

                1. Liebe Myriade,
                  Mir hat’s auch gefallen, darum habe ich es kopiert. 😀 Ich weiß gar nicht, wo es erstmals geschrieben wurde. Freut mich, dass es auch „Betroffenen“ gefällt. 😃
                  Alles Liebe
                  „Benita“

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