„Wir haben das Recht zu existieren!“

Diese Erkenntnis hatten wir bei einer Behandlung unter unserem Kristallbett Anfang Februar gewonnen.

Seit fast drei Monaten schreiben wir an einem Thema, ohne auch nur einen der mittlerweile fünf oder sechs Entwürfe veröffentlicht zu haben.

Sie werden nicht fertig. Wir ziehen einen Teil Erkenntnis aus einer Schublade des Innen und finden den Bogen nicht. Der Text wird nicht rund, es gibt keine Conclusio. Eher scheint es als gäbe es dieses offene uns quälende Suchen, aber wonach?

Nach uns/mir?

Unser Vater setzte alles daran ∑mich in der Kindheit und Jugend als verrückt darzustellen und uns damit vernichten zu wollen.

Weshalb er das tat, hatte drei Gründe. Zunächst sein tief verankerter Frauenhass, dessen Ursprung uns unklar ist, der jedoch auch mit seiner Mutter zu tun hatte. Er hasste und fürchtete sie zugleich. Weshalb wissen wir nicht. Unsere Großmutter war eine harte Frau, aber nicht gewalttätig. Sie war vor allem hart zu sich selbst. Allerdings können wir uns vorstellen, dass sie in Kriegszeiten ihrem Sohn sehr Vieles abverlangt hat, vielleicht zu viel? Anderseits hat sie ihn vergöttert, weil er das einzige Kind von ihrem geliebten Mann war, der ja an irgendeiner Front kämpfte und ein kränklicher Mensch gewesen sein dürfte. Aber vielleicht kam er auch nur schwer krank aus dem Krieg zurück? Jedenfalls starb er recht bald danach.

Unser Drama, wir haben den gleichen Geburtstag, wie unsere Großmutter. Die Projektion für diesen Hass war nahezu unausweichlich. Zumindest für uns, war es eine von mehreren Projektionen. ∑Ich war Omamas „Geburtstagsgeschenk“! Hat schon irgendjemand gehört, dass ein Geschenk sich selbst gehört??? Das war die Projektion des Vaters. Mütterlicherseits bekam ∑ich den Vornamen der Großmutter, die an Krebs verstorben war, als unsere „Mutter“ gerade 14 Jahre alt war. Ein Trauma über das sie bis heute nicht hinweg gekommen ist. „Mutters“ Projektion auf uns war die, ihre Mutter zu ersetzen, also eine Rollenumkehr, die sie bis heute versucht zu leben, sobald wir uns in ihre Nähe begeben.

ABER WO WAR ICH??? Es durfte MICH gar nicht geben!

Zurück zu „Vaters“ Jähzorn und Sadismus, die ∑mich verfolgten, bei gleichzeitiger Überhöhung hie und da! Beides, dass wir nichts wert waren und verrückt und auch, dass wir als Vorbild für unseren Bruder herhalten mussten, hatte nichts mit ∑mir zu tun. Das war ∑ich nicht! Aber zwischen all diesem Hass, dieser Pseudoliebe, diesen Wahnbildern in den Köpfen und Herzen der Eltern war kein Platz für ∑mich. Es war für sie auch nicht wünschenswert einen Platz für ∑mich zu schaffen. Dafür hätten sie sich selbst hinterfragen müssen. Aber ihr Ziel war, dass ihre Kinder ihnen gegeben wurden um ihnen ENDLICH ihre Selbstzweifel zu nehmen und sie als unfehlbar annehmen. Ganz kleine Kinder tun das ja, was bleibt ihnen in ihrer Ohnmacht auch anderes übrig. Naja, es war sicher kein bewusst gewähltes Ziel, aber dennoch eines, das Grundlage der Erziehung war. Widerworte waren verboten und zwar in einem Ausmaß, dass es tödlich enden könnte, sie zu geben.

Und hier kommt der zweite Grund für „Vaters“ Gewalt – psychisch. physisch und sexuell. Der für ihn vollkommene Anlass dem Einhalt zu gebieten, was für ihn unerträglich, ja mit aller Härte zu ahnden war, wir ordneten uns ihm nicht unter, niemals. Zu oft taten wir so, weil uns die Kraft für permanentes Aufbegehren fehlte, aber wir wurden ihm nicht hörig, so wie es unsere „Mutter“ und unser Bruder waren. Unsere Eltern witzelten sogar, dass sie bereits tot wären, wenn Blicke töten könnten. Es ist traurig und schmerzhaft, als Kind stets nur Gefühle des Zorns für die eigenen Eltern aufbringen zu können und sie nicht lieben zu können. Sie haben es uns einfach nicht erlaubt. Auch weil sie unsere Gefühle niemals ernst nahmen, selbst den Zorn auf sie nicht, den sie erkannten. Als ließen sich Probleme ignorieren oder verwitzeln, das war ihre Lebensstrategie. Schwierigkeiten leugen und oberflächliche und verletzende Späße darüber machen.

Wir wollten bloß durchhalten bis wir alt genug waren, alleine zu leben um uns von ihnen zu lösen. Unser Versuch, diesen Zeitpunkt frühzeitig herbeizuführen und vom Elternhaus davon zu laufen scheiterte einerseits an dem uns fehlenden Mut es wirklich mit nur einem Versuch durchzuziehen und anderseits daran, dass uns unsere „Mutter“, nachdem sie uns beim Packen eines Koffers ertrappt hatte all unser Erspartes stahl. Wir waren ca. 16 Jahre alt und hatten kein Geld, wohin sollten wir? Zum Jugendamt wagten wir ja nicht zu gehen, denn der Giftpfeil, dass wir verrückt sind, steckte bis dahin schon ganz tief in unserer Seele und hatte viele Entzündungen verursacht. Verwandte, denen wir vertrauen hätten können gab es nicht mehr, alle Kontakte zu ihnen wurden abgebrochen, von welcher Seite auch immer und auch in der Schule gab es keine Vertrauensperson. Unser Klassenvorstand hatte nicht einemal irgendetwas unternommen, als sie die Eltern wegen unserer Auffälligkeiten vorlud und die nur unseren drei Jahre älteren Bruder schickten.

Der dritte Grund, weshalb unser Vater uns hasste war, dass wir klüger waren als er, vielleicht. Auf alle Fälle fürchtete er unsere Kraft und unsere intellektuelle Fähigkeit uns ihm in den Weg zu stellen ebenso wie er uns dafür verachtete. Wir waren ihm überlegen, da wir unsere Gefühle meist im Griff hatten, dem alleine gebührte in seinen Augen Bestrafung. Denn eine Frau durfte einem Mann niemals widersprechen, niemals aufbegehren, niemals ein eigenes Leben haben. „Eine Frau ist der letzte Dreck auf dieser Welt!“, das war seine Ansicht.

Ein guter Grund für uns überzeugte Feministin zu sein! Heute müssen wir diese abgrundtief misogyne Ansicht nicht mehr entkräften, heute wissen wir, dass es sein Wahnsinn war, aber damals mussten wir uns unseren Wert erarbeiten und gesellschaftliche Strukturen machten es uns nicht leichter an uns zu glauben. In den 1970ern und 1980ern war noch recht viel Abwertung von Frauen im Fernsehen zu sehen. Und das Fernsehen war eine sehr wichtige Chance für uns andere soziale Umgangsformen zu lernen, als wir sie daheim täglich erlitten. All diese Hintergründe von struktureller Gewalt an Frauen mussten wir erst verstehen lernen um uns von ihnen so gut es geht zu distanzieren. Diese Herausforderung ist für uns noch nicht erledigt. Geschlechtergleichheit hat sich bis heute ja noch nicht ganz durchgesetzt und bleibt ein heißes Thema. 

Der letzte Versuch unseres Vaters uns als verrückt darzustellen war bei unserem Psychiatrieaufenthalt Anfang der 1990er. Damals erläuterte er unserem Arzt auf der Station, weshalb wir so sind, wie wir aktuell damals waren, nämlich höchst verstört nach ersten Vergewaltigungserinnerungen. Wie es sich aus dem Behandlungsprotokoll von unserem Aufenthalt liest, das wir angefordert und erhalten haben, scheint er es so angelegt zu haben, dass wir nie wieder dort herauskommen sollten. Eine gute Möglichkeit, die Gewalt zu verstecken, die er uns angetan hatte. Die Ärzte und Ärztinnen waren aber dann doch nicht seiner Meinung und entließen uns nach fünf Wochen.

Die Suche nach unserem Selbst, das wir als Kind nur höchst rudimentär entwickeln durften, beschäftigt uns mittlerweile über 30 Jahre in unserem Erwachsenenleben. Freilich ist uns bewusst, dass dies eine Aufgabe in jedem Leben darstellt, aber die Basis von wo wir losgingen ist eine andere. Und es gab und gibt keinen Weg zurück, wo wir in einer Familie zur Ruhe kommen könnten. Ruhe können wir nur in uns selbst finden. Auch das trifft letzten Endes auf alle Menschen zu, vermutlich aber nicht in diesem Ausmaß? Wenn wir andere Leben beobachten und begleiten erkennen wir doch, dass sie darüberhinaus noch andere Ressourcen zur Verfügung zu haben scheinen, als nur das eigene fragile Selbst. Freundschaften, Beziehungen, die eigene kleine Familie mit Kindern stabilisiert ebenso. Und zumeist ist das Selbst nicht so derart fragil oder zersplittert wie unseres.

Aber wem nützt das Vergleichen? Wir versuchen einen abgrundtiefen Schmerz zu beschreiben, für den es im Grunde keine Worte gibt. Es scheint aber eine Fallhöhe zu geben, wenn wir stolpern. Der Boden auf den wir aufprallen würden ist nicht zu sehen. Stolpern und Fallen ist keine Option, wenn wir überleben wollen. …. Ist das richtig, oder ist der Boden bloß nicht zu sehen, weil es dunkel ist und es ist gar nicht zu tief? Vielleicht täte hinfallen gar nicht so weh und wir könnten uns abputzen und weitergehen. Möglicherweise mit ein paar recht harmlosen Schrammen mehr?

Tatsache ist, dass dieses Verbot ein eigenes Selbst zu entwickeln heute noch immer große Probleme in freundschaftlichen und anderen Beziehungen schafft.

…. Über Freundschaften in unserem Leben müssen wir wohl in einem eigenen Beitrag schreiben. Auch wenn es genau diese Freundschaften sind, die uns heute zum Erkennen mancher familiärer Zusammenhänge geführt haben. Danke dafür, auch wenn’s uns sehr weh tut was wir sehen. Freundschaft bedeutet nicht nur Sonnenschein, sondern auch Wolken, Sturm, Regen und mitunter auch dichten Nebel.

 

13 Gedanken zu „„Wir haben das Recht zu existieren!““

  1. Ihr Lieben,
    da habt ihr ja einen Haufen an Erkenntnissen gesammelt, dazu möchte ich euch eigentlich gerne gratulieren, für all den aufgebrachten Mut, die Reflexionsprozesse, die innere Bearbeitung und all das! Auch wenn dahinter enorme viel Schmerz und Leid liegt, noch immer da ist… Danke, dass ihr das hier mit uns teilt, der Text berührt mich sehr und jaaa ihr habt das Recht zu existieren!
    Ganz herzliche Grüße,
    Tina

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  2. Eindrucksvoll geschrieben, liebe Benita, und die drei Vatergründe explizit aufgelistet, abserviert, mit Können; ja, du warst ihm geistig überlegen, aber nicht körperlich, welch seelischer Zwiespalt!
    Natürlich hast du das Recht zu existieren.
    Wer sollte das denn bezweifeln … ?!
    Herzliche Grüße
    vom Lu

    Gefällt 2 Personen

    1. Lieber Lu,
      Danke für deine lieben Worte, und doch bleibt etwas, was uns nun seit gestern sehr belastet Wir können auf deine Zeilen gar nicht richtig eingehen, leider. Es belastet uns, weil wir dich wirklich schätzen. WIR dürfen in deinem Kommentar eben nicht existieren! Das WIR besteht im Dialog mit dir nicht. Das spüren wir immer wieder. Heute können und wollen wir es nicht mehr hinnehmen. Nicht als Kommentar unter diesem Text. Es tut sehr weh, weil ein ICH ja für uns eine andere Bedeutung hat als für dich, weil wir uns in dieses ICH-Konzept verbiegen müssen und selbst verleugnen. Weil wir uns schlecht fühlen etwas vorgeben zu müssen nur damit wir in irgendein Konzept passen. Es fühlt sich falsch an, obwohl wir freilich wissen, es ist EIN Körper und gesellschaftliche Usance wäre dann ICH zu sagen. Aber die Seele ist zu zerrissen um es so zu fühlen. Seit Monaten schreiben wir darüber und du liest es. Was fehlt daran, dass wir uns so verständlich machen, dass du uns anerkennen kannst? Weshalb darf es denn nicht sein im Austausch mit dir? Was widerstrebt dir so?…. der Titel lautet „WIR haben das Recht zu existieren!“ In deinem Kommentar bestätigst du es und leugnest es zugleich. Was sollen wir davon glauben?
      Herzliche Grüße
      „Benita“

      Gefällt 1 Person

  3. Schönen abend ihr Lieben,
    der Beitrag tut mir im Herzen weh und ich empfinde mit euch den Schmerz,
    die Trauer und Wut. E ist wichtig diese Auseinandersetzung mit dem was gescha, weil nur so können solche schmerzhaften Verstickungen gelöst werden. Ja, ich gratuliere cuch dazu, denn viele Menschen wagen sich nicht heran an die Bewältigung, Aufarbeitung und Auflösung von Trauma und Schmerz. Weil nämlich diese Abgründe noch einmal erlebt werden.
    Doch das ist der Weg in die Heilung. Der einzige der Heilwerdung und segen bringt.
    Ich umarme euch und schicke herzenswarme Grüße zu euch!
    Herzlichst M.M.

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    1. Liebe Monika-Maria,
      es ist schwer zu wissen, dass vieles was wir von uns erzählen können für andere schmerzhaft zu lesen ist, darum sind wir so enorm dankbar, dass du und viele andere es dennoch lesen. Und ja, sehen wir das Positive daran, es ist wie du schreibst der Weg zur Heilung. Über das darüber schreiben können wir reflektieren und das Leid auch transformieren. Alle lieben Leute, die uns hier auf dem Blog folgen, lesen und mitfühlen helfen uns zu heilen. Aber bitte pass auch gut auf dich auf und lass unser Leid nicht so nah an dich heran, dass es zu sehr schmerzt. Sobald wir hier schreiben können, sind wir schon durch Vieles durchgegangen, dann ist der Schmerz zwar noch da und oft Schreiben wir unter Tränen, die du fühlst beim Lesen, aber dennoch die stumme Zeit des inneren aufgewühlt Seins liegt dann hinter uns.
      Es ist gut, sobald wir schreiben können.
      Vielen herzlichen Dank für die liebe Umarmung und die wärmenden Grüße. Auch wir umarmen dich.
      Herzlichste Grüße
      „Benita“

      Gefällt 2 Personen

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