Transgenerationale Traumata – Kriegsenkel*innen

https://www.kriegsenkel-kongress.de/

Das Thema „Kriegskinder“ und „Kriegsenkel*innen“ beschäftigt uns im Grunde seit unserem 15 Lebensjahr. Damals wurde uns bewusst, wie sehr die Aggressivität und Lieblosigkeit der Eltern auch mit ihren Erfahrungen im 2. Weltkrieg zusammen hingen. Uns wurde bewusst, dass sie traumatisierte Kriegskinder waren.

Der online-Kongress –  ”Kriegsenkel“ hat uns dies wieder ins Bewusstsein gerufen und erkennen lassen, dass wir mit diesem Lebensthema noch nicht abgeschlossen haben. Auch wenn uns einige Interviews nicht ansprachen, waren doch etliche dabei, die uns sehr viel gaben. Das geerbte Leid ist noch immer groß, wurde uns klar. Und es ist immer wieder schwierig, den eigenen Schmerz von dem der Eltern zu trennen und vor allem zu erkennen, dass wir/ich bei den Übergriffen nicht gemeint waren.

Was auch immer sie uns angetan haben, es war bzw. ist der Wahnsinn der Eltern. Auch Traumatisierte tragen Verantwortung für ihnen Schutzbefohlene. Die Einsicht darüber was Verantwortung für eigene Kinder bedeutet, hatten unsere Eltern nicht. Nahezu jedes Verhalten war doch so viel besser als eine Kindheit im Bombenhagel, Kälte und mit Hunger?! Nein, so ist das nicht!

Und die distanzierte und kühle Großmutter väterlicherseits? Auch sie mehrfach traumatisiert?! Da war der erste Weltkrieg als sie eine Jugendliche war und der zweite in dem sie ihr Kind alleine durchbringen musste und ihren bereits vor dem Kriegsdienst kränklichen, geliebten Mann kurz nach dem Kriegsende verloren hatte. Er hatte sich von seinem Einsatz nicht mehr erholt.

Der Großvater mütterlicherseits, der im 2. Weltkrieg an der Ostfront gekämpft hatte und sich in sich weitgehend zurück gezogen hatte. Vor oder nach dem frühen Krebstod seiner Frau kurz nach seiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft, wissen wir nicht. Alleine mit einem Kind, das ihm nahezu fremd war, da es in seiner Abwesenheit geboren wurde. Ein Mädchen, das sich in einem der Hungerwinter als Kleinkind die Finger abgefrohren hatte. Unsere Mutter, hineingeboren in einen Krieg. Als Kleinkind im Luftschutzkeller, selbst schutzlos, da die Erwachsenen mit ihrer eigenen Todesangst beschäftigt waren. Was macht es mit einer Frau schwanger zu sein, in einem Krieg? Kann ein solches Kind ein Wunschkind sein? Betonte unsere Mutter deshalb immer wieder, dass unser Bruder und wir doch Wunschkinder seien? Fühlte sie sich als ungewünscht? Lebte sie deshalb ihr Leben nie wirklich? Was waren und sind ihre Talente? Wir kennen unsere Mutter nicht und es ist von ihr so gewollt. Denn jedes noch so vorsichtige oder auch vehemente Nachfragen führt nur dazu, dass sie mit Ablehnung reagiert und uns unterstellt sie analysieren zu wollen. Und was wäre schlimm daran zu analysieren und reflektieren? Es ist Teil davon jemanden zu verstehen. So wenig sie von sich preisgeben möchte, ist sie an uns interessiert, selbst wenn sie stets das Gegenteil behauptet. Sie lebt ihr Desinteresse an anderen Menschen.

Unsere Urgroßmutter, die ihre Tochter verloren hatte, erzog das pubertierende Mädchen (unsere Mutter), das ihre geliebte Mutter Mitte der 1950er verloren hatte, so gut sie es in ihrer eigenen Trauer vermochte.

Zärtlichkeit oder Geborgenheit konnten diese Menschen alle nicht geben. Zu sehr waren sie im eigenen Schmerz gefangen.

Lachen habe ich in dieser Familie kaum jemanden gehört, außer den Vater, der sich amüsierte wenn er andere z.B. mich(uns) quälte und damit zum Weinen brachte.

Es heißt, dass Traumata vier bis neun Generationen vererbt werden können. Vor allem sehr hartnäckige Beschwerden könnten geerbte Traumata sein. Hat unser Problem in der Nacht nicht schlafen zu können, noch einen Hintergrund von früheren Generationen?

Die Tatsache zuviel Verantwortung für andere zu übernehmen liegt sicher darin begründet, dass wir als Jüngste die Mutter der Familie waren für die Eltern und den älteren Bruder. „Benita, du musst härter werden!“, meinte die Mutter damals. Wie hätte ich so die Mutterrolle für die Familie übernehmen sollen, wären wir hart genug gewesen, diese massive Überforderung zurückzuweisen? Und DAS wollte die Mutter auch nicht. Projizierte sie doch stets ihre verstorbene Mutter in uns. Leben mit Widersprüchen, war eines der Dilemma unserer Kindheit. Im Grunde war jede Art der Anpassung an die Wünsche der Eltern falsch. Vielleicht ist uns unser Bauchgefühl bei Entscheidungen deshalb wesentlich wichtiger als auch noch so gute Tipps von anderen?

Auch (ungewollte) Kinderlosigkeit kann seinen Ursprung in der viel zu frühen Elternrolle vieler Kriegsenkel*innen haben. Als Erwachsene müssen sie nun ihr eigenes inneres Kind betreuen, da ist für leibliche Kinder keine Kraft übrig.

Es ist ein so weites Feld, das es hier zu erkunden gilt. Noch immer.

5 Gedanken zu „Transgenerationale Traumata – Kriegsenkel*innen“

  1. Ich habe auch so ein ererbtes Trauma, zumindest würde ich es als solches bezeichnen, das sich aber anders manifestiert. Meine Eltern waren weder lieblos noch aggressiv, hatten aber beide ein Kriegstrauma. Ich halte zB Kriegsfilme sehr schlecht aus und echte Aufnahmen aus dem Krieg überhaupt nicht, weil ich dabei meinen Vater sehe und wenn es sich um den 1.Weltkrieg handelt meinen Großvater …

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    1. Liebe Myriade,
      ja, das klingt so, als würdest du diese Erfahrungen deiner Angehörigen, die im Krieg an der Front waren irgendwo in dir mittragen. Was wir in diesem Kongress erfahren haben ist, dass sich diese „Erbschaften“ ganz unterschiedlich manifestieren können. Mitunter weiß man nicht, woher irgendwelche massiven diffusen Schmerzen z.B. kommen, bis ein geerbtes Trauma klar wird und aufgelöst werden kann. Damit verschwinden auch diese körperliche Schmerzen. …. Glücklicherweise gehen Menschen auch sehr unterschiedlich mit Traumata um. Sonst wäre die Menschheit vermutlich bereits lange ausgestorben, würden alle Menschen auf Trauma mit Aggression und Lieblosigkeit reagieren. Es kommt unseres Erachtens auch darauf an, ob es ein Umfeld gab, das eine Stütze für die traumatisierte Person war, oder nicht. Bei uns ziehen sich die Traumata der Familie bis in die Urgroßeltern Generation, wo wir manches davon wissen. Aber wo hatte es begonnen? Zumindest gab es bis zu dieser Generation sowohl väterlicherseits als auch mütterlicherseits keine ausreichende Stütze und es ging sehr viel um „einfach überleben“, das weitergegeben wurde. Auch fanden sich zwei schwer traumatisierte Kriegskinder zusammen, die eine Familie gründeten (unsere Eltern). Die beiden stützten sich gegenseitig, aber sie hätten niemals Kinder haben dürfen. Uns ist klar, dass wir dann nicht auf dieser Welt wären. …… Wir werden jetzt noch einen Folgebeitrag schreiben, weil das Thema so umfassend ist.
      Herzliche Grüße
      „Benita“

      Gefällt 4 Personen

      1. Wir haben uns diese Frage auch schon gestellt: wo hat das Trauma begonnen?
        Unsere Überlegungen führten uns von eriner Generation zur nächsten. Da muss man sich fragen wann haben die Kriege oder das Morden begonnen. Und die Antwort ist leider recht krass, das gibt es nämlich fast seit Beginn der Menschheit an.
        Wir glauben hier ja an den Gott der Bibel und dort kann man ja sehen, dass bereits eins der ersten Kinder mordete. Das Trauma trennt den Menschen von sich selbst, von seinen Mitmenschen und auch von der Umwelt, der Natur. Das sieht man heute ja an jeder Ecke, selbst die Erde wird verschändet, als wär sie unser Feind und nicht etwa unsere Lebensgrundlage! Tja und wir dachten darüber nach, weshalb überhaupt der erste Mord geschah und stellten für uns fest, es war, weil die Menschen sich von Gott getrennt haben…
        Und schaut man sich die Menschen heute an, so sieht man Trauma auch überall, Krige, Gewalt, sogar durch Corona – wie sehen denn die nächsten Generationen aus? Wo führt das hin?
        Man muss sich fragen wie man das ganze denn aufhalten kann. Meine Überlegung war an die Ursache zu gehen. Sich wieder mit Gott zu verbinden.

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  2. Liebe Benita Wiese,
    das ist ein weites Feld und ein wichtiges Thema, das mir jetzt erst (!) so langsam bewusst wird. Mir wurde erst vor kurzem so richtig klar, dass ich ja nur zwei Jahre nach Kriegsende geboren bin. Mir war das damals überhaupt nicht gegenwärtig. Aber jetzt kann ich so langsam manches verstehen lernen. Mein Vater muss grauenhafte Erlebnisse gabt haben, von denen er aber nie konkret etwas erzählte. Er hatte dauernd massive Magenprobleme, heftige Kopfschmerzen und litt unter Schlaflosigkeit. Sein „Glück“ war, dass er gegen Kriegsende verletzt wurde. So war er schon im Lazarett in Deutschland, als „der Ami kam“. Er musste sich (als deutscher Soldat) verstecken, erhielt von einem befreundeten Pfarrer eine Soutane und dessen Fahrrad und konnte so verkleidet auf Schleichwegen 150 km weit nachhause kommen. Er fand den Krieg so schlimm, dass er tatkräftig mithalf, uns drei Söhne um den Wehrdienst herumzumogeln. Damals gab es noch nicht die Möglichkeit der straffreien Kriegsdienstverweigerung. Emotionale Defizite meiner Eltern werden mir jetzt erst so richtig bewusst. (Ich erinnere mich trotzdem an ein behütetes Aufwachsen.) So langsam sehe ich so manches aus unserer Familiengeschichte anders. Es wird mich immer wieder ein Stück weiter beschäftigen.

    Deine Gedanken helfen dabei gut, die Ursachen besser zu erkennen. Danke!
    Herzlichen Gruß, Michael

    Gefällt 3 Personen

    1. Lieber Micheael,
      das freut uns, dass unsere Gedanken dir helfen. Weiterhin viel Erfolg und Kraft beim Bewusstmachen und verarbeiten dieser schwierigen Erlebnisse (als Nachkriegskind) und Erbschaft.
      Herzliche Grüße
      „Benita“

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