Leben mit DIS #43: Umzugschaos und Rührung

Wir müssen jammern und uns freuen.

Die Gefühlsachterbahn fährt mit voller Geschwindigkeit hinauf und hinunter. Uns ist nur mehr schwindlig. Hatten wir je geschrieben, dass wir Achterbahn fahren nicht leiden können und das lieben, was andere vielleicht als Langeweile beschreiben würden?

Wir brauchen ganz viel Ruhe. Vor allem jetzt, wo überall leere und volle Kartons herum stehen und das Packen kein Ende nehmen mag. In neun Tagen bekommen wir die Schlüssel zur neuen Wohnung. Wir haben keine Ahnung, wie wir das Siedeln schaffen sollen.

Wir haben Angst davor, dass der Vermieter der alten Wohnung irgendwelche Instandsetzungsarbeiten von uns verlangen wird, die unser Budget und unsere Kraft sprengen, sind überfordert mit dem Kauf eines neuen Kühlschranks, von der Küche ganz zu schweigen. Dieser Plan ist aufgeschoben. Eine Küche wird es wohl frühestens in 6 Monaten geben. Die erste Küche in unserem Leben, die wir kaufen werden. Falls wir das schaffen? Wer weiß, wie hoch unser Budget für diese Anschaffungen sein wird? Wir hatten gerechnet eine Küche inkl. Montage um € 3.500,- erhalten zu können, Kühlschrank exklusive. Dann bekamen wir ein Angebot für € 8.600,- und schraubten den Betrag auf maximal € 5.000,- hinauf. Ob wir um diesen Preis eine Küche nach unseren Vorstellungen erhalten können ist fraglich. Wir müssen aufhören darüber nachzudenken. Unser Kopf schwirrt.

Ein Freund(?) signalisiert uns unmissverständlich, dass er uns mit dem Umzug nicht helfen wird. Es wäre toll gewesen mit einem Auto bereits Kleinigkeiten hinüber zu fahren. Wir haben kein Auto. Wir sollen uns ein Uber nehmen. Aber er scheint gerade sehr im eigenen Chaos zu versinken.

Bei welchem Energieanbieter sollten wir in der momentanen Lage unsere Stromversorgung anmelden? Jeder Neuvertrag scheint aktuell unerschwinglich. Dinge, die uns früher keine Belastung waren, stellen uns in der aktuellen Weltlage vor scheinbar unüberwindbare Herausforderungen. Auch deshalb können wir uns für keinen Kühlschrank entscheiden. Er soll maximal Energie sparen. Die sind aber außerordentlich teuer und zudem nicht für einen Single Haushalt ausgelegt. Unsere Haare sind im letzten Jahr sichtbar grauer geworden.

Und in all diesem Chaos gibt’s vor allem vier Leute in der Baugruppe für die wir hinziehen. Abgesehen von der ruhigen Lage, weg von der stark befahrenen Straße und dem wirklich guten Grundriss der neuen Wohnung.

Es war vor einer Woche, wo wir einander wieder einmal trafen. Baugruppeninterna mussten dringend besprochen werden. Und dann kam es dazu, dass jene die dort war etwas gefragt wurde, was sie nicht wusste, nicht wissen konnte, weil sie mit der Angelegenheit innen nicht befasst war. Und …..

….. Sie sagte einfach, dass sie das nicht weiß, das hat eine andere innen gemacht. Dieses Innenwesen konnte aber nicht sprechen. Wir wurden also gebeten es aufzuschreiben. Das ging gut und unser Vorschlag wurde angenommen.

Es war das ERSTE Mal, dass wir sein durften. Dass wir uns nach außen wagten, statt uns zu verstecken und irgendwelche Ausreden zu erfinden, um nicht aufzufallen. Ja, wir sind diesbezüglich anders, aber wir haben Leute gefunden, die das aushalten und uns dennoch akzeptieren und respektieren und uns gleichwertig behandeln.

Das war das erste Mal der Fall. Und wir wurden nicht in die Psychiatrie eingewiesen. Die größte Angst, die wir seit unserem Psychiatrie Aufenthalt vor mittlerweile über 30 Jahren haben.

„Ihr seid auf eure Art wunderbar.“ schrieb uns jemand dieser Gruppe, als wir uns bedankt haben sein zu dürfen. Und eine zweite stimmte zu und meinte: „…. irritierende Ecken und Kanten haben wir alle, schwierig wird das nur, wo sich jemand nicht halbwegs sozial verhalten kann. …. und ihr seid weitaus verträglicher als manch andere, und als ihr zu denken gewohnt seid.“ Es rührt uns noch immer zu Tränen. Wir werden lernen es anzunehmen und hoffentlich bald selbst zu glauben.

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