Leben mit DIS #47: Vergleich mit Leuten ohne Trauma

Das Schwierigste an unserem aktuellen Leben sind Vergleiche. Vergleiche innerhalb, die immer zu unseren Lasten ausfallen, weil diese unsere Fähigkeiten und außergewöhnlichen Belastungen ausklammern.

So vergleichen wir das Leben derer um uns herum, die alle bereits weitgehend eingerichtet sind, mit unserem Wohnungschaos und sind deprimiert. Mehr noch Innenwesen machen uns herunter, dass wir unfähig wären, weil wir das noch nicht geschafft haben, weil wir doch viel zu wenig tun.

Dabei irren solche Vergleiche immer und so auch in unserem Fall. Die ausführliche Hilfe, die unsere Nachbar:innen von ihren Familien bekommen fallen bei uns weg. Auch hatten wir 2 Monate mit Baumängeln zu kämpfen und haben diese bis auf eine Kleinigkeit erledigt, was in Nachbarwohnungen nicht der Fall war und ist.

Und last but not least, ignorieren wir unsere Gewaltfolgen, die andere nicht betreffen, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß. Natürlich haben andere auch ihre Geschichte mit guten und schlechten Aspekten. Tatsächlich hat uns eine liebe Nachbarin von einer sehr schlimmen Erfahrung in einer Beziehung erzählt, die sie zum vollständigen Zusammenbruch führte. Und dennoch ist sie sich bewusst, dass das kein Trauma war, im Sinne von nachhaltig und mit allen Folgen, wie Flashbacks, schwere physische Belastungen, wie massive Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, und auch nicht in dem Ausmaß mit den psychischen Folgen einer PTBS, wie Trigger, oben genannte Flashbacks, depressive Symptome, Selbstverletzungstendenzen, Suchttendenzen, Suizid Gedanken etc.

Die anderen wissen es, aber in unserem Selbstverständnis, sehen wir andere immer als ebenfalls schwer traumatisiert, weil wir keine Vorstellung haben von einem anderen Leben, das leichter wäre. Wir beobachten es, sind verwundert, was Menschen alles schaffen können an einem Tag und sehen nicht, dass sie mit einer leichten bis mittelschweren Handtasche, vielleicht auch mit einem Reisekoffer als Gepäck durchs Leben gehen und verleugnen unseren Rucksack voll Steine am Rücken und die zusätzlichen Taschen in den Armen, die wir tragen.

Vielleicht ignorieren wir aktuell unsere Geschichte, weil sie rundherum ignoriert wird? Gegenüber all den Handwerkern mit denen wir seit Monaten zu tun haben ohnedies, weil wir in diesen Kontakten funktionieren müssen, was uns außerordentlich fordert bzw. überfordert. Unsere Nachbar:innen finden, dass wir hier so viel strukturierter sind als sie und sie von uns lernen können. Warum sind Situationen, die wir sehr gut meistern für uns selbstverständlich und wo wir uns schwer tun Grund zur Selbstgeißelung?

Auch von den netten Nachbar:innen, werden unsere Traumata nicht thematisiert. Tut das weh und verletzt, oder ist es heilsam, keinen Sonderstatus zu haben und dauernd um unser Wohlbefinden gefragt zu werden? Wir wissen es nicht. Möglicherweise beides zugleich? Vielleicht akzeptieren uns diejenigen, die uns näher stehen mehr in unserem Wesen und mit unseren Belastungen, als wir es selbst tun? Und weil wir okay sind, wie wir sind und was wir tun, braucht es auch nicht tägliche Erklärungen dazu. So wichtig sind wir nicht, weil alle auch mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Das tut wieder weh, dass wir niemandem wirklich wichtig sind. Man mag uns, aber wichtig sind wir nicht. Oder sind wir wichtiger, als wir denken? Zumindest sind wir eingebunden in eine mittelgroße Gruppe und stehen nicht ganz außerhalb. Das ist für uns sehr viel.

Dass wir einander wichtig werden, braucht es auch Zeit, einander besser kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen. Von allen Seiten.

Leben mit DIS #45: Zu Hause

©Pexels/ Nandhu Kumar

Seit einem Monat wohnen wir in der neuen Wohnung. Wohnen wir schon? Noch ist vollkommenes Chaos. Noch stehen überall Kartons herum und Möbel sind nicht aufgebaut.

Und doch fühlen wir uns wohl hier. Es ist aber alles neu, als wären wir in einer neuen Stadt, dabei ist es nur von einem Stadtrand zur ganz anderen Seite, fast  1 ½ Stunden brauchten wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen diesen beiden Wohnungen. Das ist jetzt nicht mehr notwendig. Wir leben in einem Stadtteil, in dem wir noch nie gelebt haben. Hier triggert die Umgebung kaum, das ist neu. Fast irritiert es uns. Nicht nur fast, es irritiert uns, so als würde eine Selbstverständlichkeit in unserem Leben plötzlich weg sein. Nein, das fehlt nicht, dennoch fehlt die Sicherheit, dass es so bleibt. Wer weiß? Freude ist darüber vorhanden, aber verhaltene Freude..

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Überfordert: seit Jahren ungeöffnete Post gefunden

Wir versuchen das Chaos zu sichten, wegzuwerfen, was immer möglich ist.

Was wir finden tut weh. Seit Jahren ungeöffnete Post. Überforderung seit vielen Jahren, finden wir in den Stapel Papier.

Seit Jahren sprechen wir es in Therapie an und bekommen keine Hilfe. Es treibt uns vor uns her. Dabei ist diese Situation ein Abbild unserer Jugend.

Auch damals die Überforderung mit viel zu viel Chaos und wir sollten es in Ordnung bringen, was die anderen ansammeln, real und psychisch, und wir können es nicht. Wie spielen dieses Chaos nach, es sind tägliche Trigger. Und wir arbeiten hart daran zumindest den psychischen Müll zu sichten. Geht das, ohne unser Wohnumfeld anzusehen?

Wir sind zu perfekt, wollen zu viel, wird uns gesagt. Wirklich? Ist Ruhe innen zu viel? Und es braucht eine gewisse Ordnung um zur Ruhe kommen zu können, oder? Das kreative Chaos hat irgendwo ein Ende. Wir sprechen nicht von einer klinischen Umgebung, denn davon sind wir Lichtjahre entfernt. Aber vielleicht stimmt die Perfektion auch und andere Leute stapeln ihr Chaos in einem Keller, oder auf Dachböden, die wir nicht zur Verfügung haben? Nicht umsonst gibt es Lagerräume zum Anmieten, seit mittlerweile einigen Jahren. Wir alle besitzen viel zu viel. Der Besitz überfordert, selbst wenn der Besitz nur aussieht wie Müll. Es schadet dieser Gesellschaft nicht ärmer zu werden. Obwohl es dann die ohnedies jetzt bereits Armen zuerst treffen wird.

Dennoch belastet das Chaos uns persönlich. Am Liebsten würden wir in die leere Wohnung einziehen und alles hier in der alten Bleibe auf den Müll werfen.

Unruhe macht sich breit. Das geht auch nicht. Es gibt welche, die an Vielem hängen. Weshalb besitzen wir so viel, auch wenn es ungefragt zugesandtes Papier ist? Weshalb ist unser Leben so kompliziert? Ist es unnötig kompliziert in dieser Zeit?

Das Leben treibt uns vor sich her, wir müssen weiter. So wird es uns vermittelt. Wenn wir das nicht tun, was dann? Das Schreckgespenst Psychiatrie drängt uns weiter und macht, dass wir uns nur nichts anmerken lassen.

Manche innen haben Angst vor einer aufgeräumten Wohnung, aber weshalb? Als wir noch ganz klein waren, war die Wohnung unserer Kindheit aufgeräumt, glauben wir. Bis der Vater in seinen Tobsuchtsanfällen jede Ruhe ruinierte. Dinge nach uns und allen in der Familie warf und völlig ausrastete. Aber wir erinnern nicht genau, was war, es macht uns große Angst.

Ist das Chaos, das viele von uns belastet und beschämt für andere innen beruhigend?

Vielleicht ist es ein passendes Zeichen, dass wir uns vor zwei Tagen durch ein Stück Plastik am Fußboden, mitten in unserem aktuellen Chaos mit dem Packen, die Fußsohle tief verletzt haben und stark geblutet haben? Denn im Grunde fühlen wir uns wund gelaufen.

Leben mit DIS #43: Umzugschaos und Rührung

Wir müssen jammern und uns freuen.

Die Gefühlsachterbahn fährt mit voller Geschwindigkeit hinauf und hinunter. Uns ist nur mehr schwindlig. Hatten wir je geschrieben, dass wir Achterbahn fahren nicht leiden können und das lieben, was andere vielleicht als Langeweile beschreiben würden?

Wir brauchen ganz viel Ruhe. Vor allem jetzt, wo überall leere und volle Kartons herum stehen und das Packen kein Ende nehmen mag. In neun Tagen bekommen wir die Schlüssel zur neuen Wohnung. Wir haben keine Ahnung, wie wir das Siedeln schaffen sollen.

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Schau dir „Dissoziative Identitätsstörung: Jessie lebt mit 7 Persönlichkeiten I TRU DOKU“ auf YouTube an

Wir mögen gerne hier eine Dokumentation über eine weitere Frau mit einer DIS teilen, in der wir uns absolut wiederfinden.

Auch die Situation wie sie damit umgeht und es möglich ist, es als Außenstehende:r zu ignorieren ist erschreckend und unser Alltag.

Dadurch wird natürlich die massive Belastung nur erzählt und nicht vorgeführt, was wir schätzen. Denn weshalb müssen DIS Betroffene ihre innersten Verletzungen nach außen kehren, noch dazu vor einer Kamera, was für sich schon ein enormer Trigger sein kann, damit ihnen geglaubt wird, wenn es doch von niemandem in dieser Gesellschaft sonst erwartet wird? Wo bleibt bei Frauen, die (sexuelle) Gewalt erfahren haben die Empathie?

Allerdings ist es auch fein, offen über einiges sprechen zu dürfen, wenn es passt, denn über die erlittene Gewalt nicht sprechen zu können bzw. dürfen ist retraumatisierend. Das ist der Zwiespalt beim Umgang mit dem Brechen von dem Tabu selbst (sexualisierte) Gewalt ab dem frühesten Kindesalter erlitten zu haben, dem Zwiespalt beim Versuch das Tabu um DIS zu brechen und zugleich unbeschadet aus diesem Vorgang hervorzugehen.

Hier ist der Link zur Dokumentation:

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37°: Ich bin Viele. Leben als multiple Persönlichkeit. Sabrina

Wir wurden vor einiger Zeit von einem lieben Leser auf diese Dokumentation hingewiesen und haben sie vor einigen Tagen gesehen. Haben auch von mehreren von DIS-Betroffenen Kommentare dazu gelesen und uns auch angeschlossen.

Z.B. hier:

https://einblogvonvielen.org/stellungnahme-und-kritik-an-der-zdf-sendung-ich-bin-viele/

Diese Reaktion hier von Sofie wollten wir nun rebloggen und unsere Zerrissenheit mit dem Thema darstellen. Wir sehen viele Probleme an der Doku, aber können Sofie auch in gewisser Weise folgen.

Hier unsere Antwort zur Debatte. Wir haben auch auf Sofie’s Blog noch einen weiteren Kommentar hinterlassen, falls ihr dort noch weiter lesen mögt.

Hoffentlich hilft diese Debatte auch mehr Einblick in die Komplexität der Thematik zu erhalten.

Wir danken allen für ihr Engagement und den Austausch.


Liebe Sofie,
Wir mögen dir zunächst danken für den Text, der uns sehr nachdenklich macht. Ja, auf alle Fälle muss klar sein, dass DIS derart massive, körperliche, sexuelle und psychische Gewalterfahrungen ab frühester Kindheit als Ursache hat, dass eine Heilung, die keinerlei professioneller Betreuung oder Unterstützung mehr bedarf vielleicht lebenslang nicht gelingt und dass es dennoch ein gelungenes Leben sein kann. Dass nicht auffallen, nicht der gelungenere Lebensentwurf ist, denn das ist er in den wenigsten Fällen.

Darum kämpfen wir seit vielen, vielen Jahren, dass unsere Behinderung anerkannt wird und soziale Betreuung und psychologische Betreuung tatsächlich so lange sein darf, wie lange wir meinen sie zu brauchen.

Anderseits verstehen wir auch die andere Seite, stolz darauf zu sein, sich eine Funktionalität bewahrt oder sogar erkämpft zu haben, stolz darauf zu sein, nicht diese Abhängigkeit zu haben. Und dass es auch extrem verletzend ist, dass in dieser Gesellschaft eben entweder NUR die Funktionalität oder NUR die Hilfsbedürftigkeit dargestellt wird. DAS ist es, was uns am meisten verletzt, dass uns jene harte Arbeit an unserer Heilung dann abgesprochen wird, wenn wir nach 25 Jahren wesentlich mehr am Leben teilhaben können und auch stolz darauf sind, das zu können, wir aber dann nicht mehr bedürftig sein dürfen.

Das hätten wir uns gewünscht, dass diese beiden Seiten von DIS gezeigt werden, enorme Funktionalität neben großer Hilfsbedürftigkeit. Und genau das haben wir auch an den Sabrinas gesehen. Im Film war aber der Fokus massiv auf der Hilfsbedürftigkeit. Das hat uns beängstigt, weil es unsere Mitbestimmung in der Gesellschaft in Frage stellt. Diese Balance zu halten zwischen diesen beiden Zuständen, Funktionalität und großes Leid und meist fehlende, oder zu geringe Hilfe hätten wir uns gewünscht zu sehen, weil es genau jene Situation ist, die unser Leben immer massivst belastet hat und noch belastet.

Vielmehr genau dass dieser Versuch die Balance zu halten und die Selbständigkeit wie auch das Leid nicht gezeigt wurden, macht unser Leben enorm schwierig und vergrößert das Tabu und auch die Phantasien, die Uno’s vielleicht von DIS ohnedies bereits haben.

Sofies viele Welten

Screenshot aus der ZDF-Reportage von Julia Luhnau: 37°: Ich bin Viele. Leben als multiple Persönlichkeit.

Das ZDF-Format 37° zeigte am 09.08.2022 in der Reportage von Julia Luhnau persönliche Einblicke in das Leben der 42-jährigen Sabrina aus Freiburg. Sie ist Viele und lebt mit 12 weiteren Persönlichkeiten ihren Alltag. Die Ursachen sind, wie sie selbst im Film sagt, seelische, physische und sexuelle Gewalt in der Kindheit. Wir halten die Aufzeichnungen persönlich für sehr gelungen, weil sie einerseits eine gewisse Vulnerabiilität und Wechsel sichtbar werden lassen, andererseits aber nicht reißerisch und voyeuristisch damit umgehen. Da das Format ausdrücklich deutlich macht Einzelschicksale zu portraitieren, finde ich auch, dass die Sabrinas die einzigen sind, die die Reportage gut finden müssen und weitere Bewertungen fehl am Platz sind.

Was mich jedoch bewegt, sind die Reaktionen anderer DIS-Betroffener auf die Ausstrahlung. Davon handelt dieser Beitrag.

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Kommentar zu „Sind wir okay?“

Der liebe Ankordanz hat uns auf unseren letzten Beitrag einen Kommentar geschrieben, der uns so wahrhaftig und wertvoll ist und dabei allgemein gültig, sodass wir ihn hier extra veröffentlichen mögen, damit er allen helfen kann, die aus unterschiedlichsten Gründen an ihrer Existenz oder ihrem Wesen zweifeln.

Danke dir dafür, schön dass es dich gibt, lieber Ankordanz. 🙏🤗💜🍀🎶🕊️🍀🏵️🌸


„Ich denke:

Ihr seid okay!

Ich könnte jetzt einige, vielleicht viele Begründungen anführen, warum ich so denke. Aber das wären alles nur rationale Begründungen, einige vielleicht auch nur Rechtfertigungen. Aber ich möchte mich nicht rechtfertigen. Ich möchte es einfach nur so sagen.

Das Bewerten möchte ich jenen überlassen, die glauben, ein Urteil über einen anderen Menschen abgeben zu können und zu müssen. Ich für mich kann nicht sagen, ob ein Mensch gut ist oder nicht, ob es eine Existenzberechtigung gibt oder nicht. Ihr seid da. Das ist für mich Existenzberechtigung genug – genau so, wie Ihr seid.

Und ich bin dabei absolut egoistisch:

Hättet Ihr kein Recht Euch am Leben zu beteiligen, Euch einzubringen und Eure Wünsche und Bedürfnisse zu äußern, welches Recht hätte ich dann? Oder irgendjemand anderer? Wie perfekt müsste man sein? Wer ist überhaupt perfekt? Wer dürfte überhaupt sagen, was er/sie braucht, wenn nicht jeder? Und so auch Ihr?!

Noch ist Freiheit und Würde bei uns ein sehr hohes Gut. Und diese Freiheit und Würde gestehe ich auch Euch zu. Und wer das nicht tut – und sei es nur verbal – der spricht sich diese Freiheit und Würde am Ende selbst ab. Weil: Niemand ist perfekt. Und alle sind da, und dürfen es sein – so wie auch Ihr!
👍🍀💚“

https://wp.me/p72Ag7-3kv%23comment-4850

Leben mit DIS #38: Perfektionismus

Immer wieder hören wir von anderen Menschen, dass wir so perfektionistisch wären. Wir hören es als kritische Feststellung. Und es stimmt ja, bloß macht sich niemand die Mühe nachzuforschen weshalb es so ist. Zugegeben wir bislang auch nicht.

Nun die Erkenntnis: Wer sich in seinem Leben, vor allem in der frühen Kindheit keine Fehler erlauben darf, weil sie mit großer Wahrscheinlichkeit den eigenen Tod bedeuten würden, tut sich schwer locker an Aufgaben heranzugehen, denn die Todesangst steckt in den Knochen.

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Leben in einem Wohnprojekt

Es bleibt die Frage offen, ob die Last, die wir mit uns tragen zuviel für die Gruppe wird, was wir spüren werden.

Oder auch ob die Anforderungen eines Zusammenlebens mit so vielen Menschen, in näherem Austausch zuviel für uns wird.

Werden wir uns abgrenzen können? Was aktuell oft sehr schwierig ist. Werden wir unsere Bedürfnisse nach Rückzug leben können? Werden wir uns auf ein liebevolles Miteinander einlassen können, ohne permanent getriggert zu werden? Denn erst dadurch, dass uns liebevoll und verständnisvoll begegnet wird, erkennen wir das Ausmaß der erlittenen Gewalt. Und das ist oft kaum zu ertragen.

So kam es letzten Donnerstag dazu, dass wir bei 37 Grad Hitze einfach eine Moderation eines Arbeitstreffens völlig vergeigt hatten. Was bei diesen Temperaturen schon verzeihlich ist. Ein Wunder, dass wir als Gruppe überhaupt irgendetwas klären und beschließen konnten.

Dennoch, es war für uns unverzeihlich, dass wir versagten. Was auch mit ein Trigger war, dem ein zweiter folgte. Und dem allem folgte ein Nervenzusammenbruch über drei Tage. Einen Tag weinten wir durch. Die folgenden zwei gab es glücklicherweise immer längere Pausen zwischen den Weinattacken. Und wir erkannten den ursprünglichen Trigger.

Fehler waren als Kind und Jugendliche verboten. Mehr noch, sie waren lebensgefährlich. Jeder Fehler konnte dazu führen, dass wir nicht überlebten, weil der Vater die Kontrolle zu verlieren drohte und uns im Affekt töten könnte.

Das war der Trigger mit dem wir konfrontiert waren, als wir merkten, dass uns die Moderation mehr als entgleitet. Wir hatten Todesangst. In einer solchen Gemütslage kann jedes Wort einen zusätzlichen Zusammenbruch bewirken. Und es entlud sich dann auch an einem anderen Thema, da wir unsere Todesangst ja selbst vor unseren Außenpersonen verstecken gewohnt sind. Normal ist das hilfreich, um die Situation zu verlassen, was irgendwie auch nicht ging. Wir moderierten ja ein Meeting.

Es waren die anderen Teilnehmerinnen des Treffens, die uns beruhigten so gut sie es konnten. Was beruhigend und aufwühlend war, denn es zeigte uns unser Leid der Kindheit so klar auf. Trost gab es damals niemals. Im besten Fall geschah nicht noch mehr Gewalt und Ablehnung. Das kam aber selten vor. Dieser Versuch aller uns beizustehen war so enorm viel an Glück.

Sich diesen Emotionen zu stellen war und ist eine große Herausforderung. Aber wir sind dankbar in diese Lage zu gelangen. Die Zeiten der Flucht werden geringer. Wir haben NICHT geswitcht. Welch enorme Leistung.

Wir haben noch niemals etwas so Großes zu erreichen versucht, wie dieses Wohnprojekt. Es ist so viel größer und intensiver als wir erwartet hatten. Und auch so viel komplexer.

Vermutlich war es gut, all dies nicht von Anfang an zu erfassen, sonst hätten wir es nicht gewagt.

Die große Herausforderung bleibt, dass wir nicht wegziehen können, falls es nicht passen sollte. Das erlaubt unser Budget nicht. Und jetzt wird es wirklich konkret. Im Herbst wird der Mietvertrag unterzeichnet.

Leben mit DIS #29: Suchtverhalten

Ich sitze am Bett und spiele irgendein bescheuertes Handy-Spiel, statt ein Buch zu lesen oder schlafen zu gehen. Dialog innen: „Wozu leben wir?“ „Weil es Menschen gibt, die sich um uns bemühen?“ Haben heute mit einer Freundin gemailt zur Frage des DU oder IHR. Durchaus positiv, scheint uns. Und wir dürfen bereits viele Jahre gratis im Haus einer anderen Freundin/Bekannten wohnen im Sommer um der Hitze der Stadt zu entkommen und ein bisschen zu entspannen. Das kann sie geben. Verstehen wird sie uns vermutlich nie, obwohl sie als Künstlerin sogar eine Arbeit zu DIS gemacht hat. „Vielleicht ist unser großer Lebenswunsch, den unsere Therapeutin sieht nur die Unfähigkeit sterben zu können?” geht der Gedanken-Dialog weiter: „Vielleicht ist auch beides das gleiche?” Das bedeutet, dass wir klarerweise unfähig zu sterben sind, weil wir leben wollen.

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