Leben in einem Wohnprojekt

Es bleibt die Frage offen, ob die Last, die wir mit uns tragen zuviel für die Gruppe wird, was wir spüren werden.

Oder auch ob die Anforderungen eines Zusammenlebens mit so vielen Menschen, in näherem Austausch zuviel für uns wird.

Werden wir uns abgrenzen können? Was aktuell oft sehr schwierig ist. Werden wir unsere Bedürfnisse nach Rückzug leben können? Werden wir uns auf ein liebevolles Miteinander einlassen können, ohne permanent getriggert zu werden? Denn erst dadurch, dass uns liebevoll und verständnisvoll begegnet wird, erkennen wir das Ausmaß der erlittenen Gewalt. Und das ist oft kaum zu ertragen.

So kam es letzten Donnerstag dazu, dass wir bei 37 Grad Hitze einfach eine Moderation eines Arbeitstreffens völlig vergeigt hatten. Was bei diesen Temperaturen schon verzeihlich ist. Ein Wunder, dass wir als Gruppe überhaupt irgendetwas klären und beschließen konnten.

Dennoch, es war für uns unverzeihlich, dass wir versagten. Was auch mit ein Trigger war, dem ein zweiter folgte. Und dem allem folgte ein Nervenzusammenbruch über drei Tage. Einen Tag weinten wir durch. Die folgenden zwei gab es glücklicherweise immer längere Pausen zwischen den Weinattacken. Und wir erkannten den ursprünglichen Trigger.

Fehler waren als Kind und Jugendliche verboten. Mehr noch, sie waren lebensgefährlich. Jeder Fehler konnte dazu führen, dass wir nicht überlebten, weil der Vater die Kontrolle zu verlieren drohte und uns im Affekt töten könnte.

Das war der Trigger mit dem wir konfrontiert waren, als wir merkten, dass uns die Moderation mehr als entgleitet. Wir hatten Todesangst. In einer solchen Gemütslage kann jedes Wort einen zusätzlichen Zusammenbruch bewirken. Und es entlud sich dann auch an einem anderen Thema, da wir unsere Todesangst ja selbst vor unseren Außenpersonen verstecken gewohnt sind. Normal ist das hilfreich, um die Situation zu verlassen, was irgendwie auch nicht ging. Wir moderierten ja ein Meeting.

Es waren die anderen Teilnehmerinnen des Treffens, die uns beruhigten so gut sie es konnten. Was beruhigend und aufwühlend war, denn es zeigte uns unser Leid der Kindheit so klar auf. Trost gab es damals niemals. Im besten Fall geschah nicht noch mehr Gewalt und Ablehnung. Das kam aber selten vor. Dieser Versuch aller uns beizustehen war so enorm viel an Glück.

Sich diesen Emotionen zu stellen war und ist eine große Herausforderung. Aber wir sind dankbar in diese Lage zu gelangen. Die Zeiten der Flucht werden geringer. Wir haben NICHT geswitcht. Welch enorme Leistung.

Wir haben noch niemals etwas so Großes zu erreichen versucht, wie dieses Wohnprojekt. Es ist so viel größer und intensiver als wir erwartet hatten. Und auch so viel komplexer.

Vermutlich war es gut, all dies nicht von Anfang an zu erfassen, sonst hätten wir es nicht gewagt.

Die große Herausforderung bleibt, dass wir nicht wegziehen können, falls es nicht passen sollte. Das erlaubt unser Budget nicht. Und jetzt wird es wirklich konkret. Im Herbst wird der Mietvertrag unterzeichnet.

11 Gedanken zu „Leben in einem Wohnprojekt“

  1. Ein schönes Projekt ! Wir werden ja auch nahezu Nachbarinnen, naja etwas weitläufiger aber doch 😉 Ich glaube ja, dass bei einer großen heterogenen Gruppe, der Anspruch mit jedem /jeder einzelnen ein liebevolles Verhältnis zu haben zu hoch ist. Ein freundliches, offenes, tolerantes Verhältnis, aber gleich liebevoll … Man mag nicht alle Menschen gleich gerne, zu manchen hat man gar keinen Draht, ohne dass irgendjemandem etwas vorzuwerfen wäre. Ich würde wahrscheinlich versuchen, meine Erwartungen im Mittelfeld zu halten

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    1. Vielleicht haben wir nur eine andere Ausdrucksweise als du. Wir haben den Anspruch nicht. Aber wir erfassen vermutlich einen toleranten, freundlichen Kontakt schon als außergewöhnlich und liebevoll, weil es für uns nicht selbstverständlich ist, sondern etwas Besonderes. Und mit jedem können wir uns das auch nicht vorstellen und streben es auch nicht an. Dazu sind uns einige in der Gruppe viel zu fremd vom Charakter und sollen es auch bleiben.

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  2. Liebe Benita Wiese,
    Ihr und Euer Projekt, das finde ich erstaunlich gut und schön! Das ging mir manches Mal auch schon so, dass ich mich auf einen bestimmten Weg mache, und erst im Fortschreiten feststelle, auf welch große Aufgabe ich mich da eingelassen habe. Aktuell ist das mein Hausprojekt, bei dem ich die Sanierung fast komplett selbst ausführe und im Laufe der Arbeiten merkte, dass das nicht schon in einem Jahr zu erledigen geht, sondern schon drei Jahre andauert …
    Aber solange Ihr Euer Projekt gut und weiterhin erstrebenswert findet, könnt Ihr mit steter Energie dranbleiben. So geht es mir zumindest.
    Glückwunsch an Euch auch für das „Umschiffen“ gewisser Gefahrenquellen bei diesem Vorfall und Glückwunsch zu den dort anwesenden Mitmenschen!
    Ich wünsche Euch weiterhin ein gute Vorankommen!
    Herzlichen Gruß, Michael

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    1. Lieber Michael,
      herzlichen Dank für deine lieben Worte. Ja, es ist ein immer wieder hinterfragen und sich dafür entscheiden, das erleben wir bereits die gesamte Planungsphase, seit über vier Jahren.
      Wir wünschen dir auch viel Erfolg, Energie und gutes Gelingen bei deinem Hausprojekt. Das klingt tatsächlich auch nach einer sehr großen Herausforderung. Da braucht es ebenso die stete Reflexion um sich motivieren zu können dran zu bleiben.
      Herzliche Grüße
      ”Benita“

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  3. Es ist wie so oft in euren Texten, ich kann so vieles davon so gut verstehen… Wie wunderbar, dass ihr dieses Projekt wagt, dass so viel Gutes dort entstehen darf, und wie verständlich die Angst, die das macht, ist es doch so komplett wie „aus der Welt“… wollten euch nur ganz viel Verständnis dalassen. Und danke, dass wir das lesen durften. 💛

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