Leben mit DIS #53: Leben ohne Therapie, aber wie?

SPACETIME von ©Michaela Konrad war im Rahmen der Parallel 2019 in Wien ausgestellt. Gerne lösche ich das Bild sofort, wenn es von der/dem Künstler:in gewünscht wird. Bitte anschreiben. Es passt halt so gut zu unserer Situation und begleitet uns, seit wir es gesehen haben.

Die größte Angst ohne Therapie zu sein ist, dass es dann niemanden, überhaupt niemanden in unserem Leben gibt, mit dem wir wirklich über uns sprechen können.

Die allermeisten Menschen können nicht mit der Gewalt umgehen, die wir erlitten haben. Und jene wenigen, die wir kennen, die uns verstehen, tun es, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben und daher auch im Alltag machen. Die Herausforderungen ähneln sich.

Diese Freundinnen sind eine große Stütze, obwohl wir nie zu offen über uns sprechen. Wir können und wollen ihnen nicht zu viel von unserem Leid zumuten. Zudem ist der Kontakt schon aufgrund der jeweils eigenen Probleme sehr unregelmäßig und leider selten.

Das Leben wird aber nicht mehr lebbar, wenn uns Trigger und Flashbacks überschwemmen, oder auch Retraumatisierungen passieren und wir keinen Ort haben, diese einzuordnen und in Erfahrung und Wachstum zu transformieren.

Bei einer Ablehnung der Therapie sehen wir keine andere Möglichkeit, als unser Recht auf Krankenbehandlung einzuklagen. Das macht uns sehr große Angst bis Panik, mitunter. Denn nach den vielen Jahren Kampf um Therapie und um unser Leben sind wir müde und leider mittlerweile auch resigniert. Wie es derzeit aussieht versucht die „Gesundheitskasse“ (wir finden den Namen gerade zu euphemistisch, wenn nicht sogar zynisch) jegliche Möglichkeit, dass wir weiter Therapie erhalten mit allen Mitteln zu unterbinden.

Leben mit DIS #51: Schwäche zeigen

Um eigene Schwäche zu zeigen, braucht es ein Gegenüber, dem wir vertrauen können und Sicherheit.

Beides ist in der jährlichen demütigenden Situation, in der wir beweisen müssen, dass wir noch therapiewürdig sind nicht gegeben. D.h. niemand sieht uns an, wie „dreckig“ es uns geht. Wir sind alles andere als stabil, aber uns nichts anmerken zu lassen, ist Teil des Überlebens-Konzeptes, das sich DIS nennt. Dieses Konzept hilft uns, unsere Würde zu bewahren und im Notfall ganz schnell die Flucht zu ergreifen. Meist nach innen zu einem anderen Innenwesen, das der Lage gewachsen ist. Das ist bei uns ein Innenwesen, das sich nicht spürt und deshalb alles aussitzen kann. Sich wehren war lebensgefährlich, das haben wir uns ab trainiert, vor allem gegenüber Männern, denen wir uns ohnmächtig gegenüber fühlen. Und tatsächlich sind das die meisten Männer.

Auch diese Überlebenstechnik verleitet zu falschen Analysen als unwissender Gutachter.

Wir können nach einem überfordernden und retraumatisierenden Gespräch zusammenbrechen und nahe dem Nervenzusammenbruch tagelang weinen. Wir können auch in der U-Bahn weinen, oder beim Gehen auf der Straße. Aber wir werden niemals im Gespräch mit einem Gutachter oder einer Gutachterin der Kasse weinen. Der Termin der Vorsprache ist schlimm genug, niemals werden wir uns so entblößen. Es kann aber sein, dass derlei von Gewalt-Opfern erwartet wird.

Wir wissen, dass wir Nichts tun hätten können, dass ein anderes Ergebnis als das Therapieende begutachtet worden wäre. Denn der Beschluss stand fest, bevor wir den Raum betreten hatten. Dennoch gehen die Gedanken, was wir anders tun hätten sollen nicht aus dem Kopf.

Zurück zu unserer Reaktion auf die furchtbare Nachricht. Zunächst sind wir im Stiegenhaus zusammen gesackt und haben geweint. Das macht uns nichts. Wenn wir auf der Straße weinen, sind wir anonym. In der Stadt ist es den meisten Leuten egal, ob wir weinen und jene, denen es nicht egal ist, tun uns gut, wenn wir ihr Mitgefühl spüren. Wir können auch aus dem Schlaf erwachen mit dem Gedanken uns das Leben zu nehmen, über den Gedanken erschrecken und ihn dennoch für gar nicht so abwegig betrachten. So waren unsere Tage nach dem Gespräch mit dem Gutachter der Kasse. Um einen solchen Gedanken an ein von uns willkürlich herbei geführtes Ende zu entwickeln, braucht es bei uns enorm viel Verzweiflung, denn wir sind der Ansicht, dass Herausforderungen im Leben dazu da sind, bewältigt zu werden. Wir sind auch noch immer der Überzeugung, dass wir für jede Aufgabe das geeignete Wissen, Kraft und Ausdauer besitzen. Aber es wird immer schwieriger manche Innenwesen davon zu überzeugen, dass es so ist.

Generell haben wir keine Angst, uns unseren Lebensaufgaben zu stellen. Was uns aber enorme Angst macht ist, als alte Frau den Fängen der Psychiatrie vielleicht einmal hilflos ausgeliefert zu sein. Bis dahin müssen wir gesund genug sein, dass  derlei nicht passiert. ….. Was wenn uns die Zeit davon läuft?

Vielen herzlichen Dank fürs Lesen. 🌻🌸💖

Leben mit DIS #50: leben wollen – leben dürfen

Unser ganzes Leben, wollen wir nicht mehr, als menschenwürdig leben zu dürfen. Dafür kämpften wir in unserer Kindheit und Jugend und darum bemühen wir uns seit sehr vielen Jahren auch in Therapie und darüber hinaus mit Yoga, Meditation und auch dem Schreiben hier.

Ist dieser Kampf, all dieses Streben verloren? Wenn wir nur aufhören könnten zu weinen sobald wir aufhören uns abzulenken.

Alles, was wir uns hier mit dieser schönen Wohnung aufgebaut haben wird sinnlos, wenn wir wieder instabil werden, wenn wir vor uns hin dämmern in einem Zustand der Überforderung und des gerade einmal überleben. Wenn es zu gefährlich wird zu fühlen, dann ist auch überleben sinnlos.

Vielleicht hilft das?

„Smile“ / Charlie Chaplin:

hatten wir hier eingefügt, weil wir uns selbst mit dem Text Mut machen wollten. Allerdings können wir auf diesem Blog nichts von Chaplin verlinken aufgrund seiner sehr fragwürdigen Ehen mit sehr jungen Frauen bzw. Mädchen. Er war ein herausragender Künstler, aber offenbar privat ein problematischer Mensch, um es vorsichtig auszudrücken.

Leben mit DIS #49: „Warum“ – kein Platz für Zweifel

We die to each other daily. What we know of other people is only our memory of the moments during which we knew them. And they have changed since then.

T.S. Eliot

Quelle: App „we croak“ – in Bhutan they say contemplating death five times daily brings happiness.

„Warum“ ist das Wort, das wir uns nicht stellen dürfen in Zusammenhang mit Unrecht. Das haben wir entschieden als die ersten Vergewaltigungserinnerungen ins Gedächtnis kamen und diese Frage dürfen wir uns auch jetzt nicht stellen.

Was ist geschehen?

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Leben mit DIS #48: Trigger- und Fashbackflut

Es war für uns unvorstellbar, ja nicht einmal annähernd absehbar, wie sehr uns der Kauf von Möbeln für die neue Wohnung herausfordert. Nicht alleine, weil wir das alles zu massiv gestiegen Preisen machen müssen, die Entscheidung schwer fiel, oder die Planung von Küche anstrengend ist? Das sind nur lächerliche Kleinigkeiten im Vergleich zur wirklichen Herausforderung: Die Überschwemmung mit Triggern und Flashbacks auf unterschiedlichsten Bereichen nahezu zeitgleich ohne ausreichend Zeit zu haben, diese einzuordnen oder sie bewusst zu machen.

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Unseren Weg finden und gehen

Mittlerweile sollten wir uns schon gut genug kennen um zu wissen, dass wir es nicht schaffen ein „normales Leben“ neben unserer  Arbeit, unsere Traumata aufzulösen und unsere spirituelle Entwicklung zu fördern, hinbekommen.

Wir sollten wissen, dass unser Hauptaugenmerk auf Schreiben und Selbstreflexion liegen muss, um uns aus zu balancieren. Und wir sollten wissen, dass Treffen mit anderen uns immer stark triggern, vor allem wenn Männer dabei sind und wir zum Selbstschutz so tun, als wäre alles in Ordnung mit uns.

Dann können wir nicht klar denken und sind zu sehr mit Camouflage beschäftigt. Wir finden keine Worte und sind nicht bei uns und dann gehen wir traurig und deprimiert aus dem Treffen.

Ja, wir haben jetzt liebe Leute um uns, und dennoch nützt es uns nicht. Unsere Schutzmechanismen vor anderen Menschen hindern uns auch an liebevollen Begegnungen. Zudem fühlen wir uns nicht zugehörig. Das Leben, das sie führen ist uns zu fremd und wir mögen uns diesen Interessen auch nicht anpassen. Aus unterschiedlichen Gründen, die noch nicht reif sind hier zu besprechen. Unser Weg nimmt gerade eine Wendung, scheinbar.

So sind wir wieder einmal sehr alleine trotz Gesellschaft. Vielleicht aber sind es auch nur Hinweise uns nicht zu verlieren. Unsere Themen sind Gewaltreflexion, Gewaltaufklärung und Gewaltprävention. Queer ist auch ein Aspekt unseres Lebens, aber ein untergeordneter Aspekt. Wir dürfen nicht zu viel Zeit dafür investieren.

Es wird vermutlich keine Beziehung mehr in unserem Leben geben und wir beginnen uns wieder einmal zu verzetteln, weil uns so viele Bereiche des Lebens allgemein interessieren.  Leider können wir sie nicht alle leben. Dafür fehlt uns Lebenszeit.

Leben mit DIS #47: Vergleich mit Leuten ohne Trauma

Das Schwierigste an unserem aktuellen Leben sind Vergleiche. Vergleiche innerhalb, die immer zu unseren Lasten ausfallen, weil diese unsere Fähigkeiten und außergewöhnlichen Belastungen ausklammern.

So vergleichen wir das Leben derer um uns herum, die alle bereits weitgehend eingerichtet sind, mit unserem Wohnungschaos und sind deprimiert. Mehr noch Innenwesen machen uns herunter, dass wir unfähig wären, weil wir das noch nicht geschafft haben, weil wir doch viel zu wenig tun.

Dabei irren solche Vergleiche immer und so auch in unserem Fall. Die ausführliche Hilfe, die unsere Nachbar:innen von ihren Familien bekommen fallen bei uns weg. Auch hatten wir 2 Monate mit Baumängeln zu kämpfen und haben diese bis auf eine Kleinigkeit erledigt, was in Nachbarwohnungen nicht der Fall war und ist.

Und last but not least, ignorieren wir unsere Gewaltfolgen, die andere nicht betreffen, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß. Natürlich haben andere auch ihre Geschichte mit guten und schlechten Aspekten. Tatsächlich hat uns eine liebe Nachbarin von einer sehr schlimmen Erfahrung in einer Beziehung erzählt, die sie zum vollständigen Zusammenbruch führte. Und dennoch ist sie sich bewusst, dass das kein Trauma war, im Sinne von nachhaltig und mit allen Folgen, wie Flashbacks, schwere physische Belastungen, wie massive Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, und auch nicht in dem Ausmaß mit den psychischen Folgen einer PTBS, wie Trigger, oben genannte Flashbacks, depressive Symptome, Selbstverletzungstendenzen, Suchttendenzen, Suizid Gedanken etc.

Die anderen wissen es, aber in unserem Selbstverständnis, sehen wir andere immer als ebenfalls schwer traumatisiert, weil wir keine Vorstellung haben von einem anderen Leben, das leichter wäre. Wir beobachten es, sind verwundert, was Menschen alles schaffen können an einem Tag und sehen nicht, dass sie mit einer leichten bis mittelschweren Handtasche, vielleicht auch mit einem Reisekoffer als Gepäck durchs Leben gehen und verleugnen unseren Rucksack voll Steine am Rücken und die zusätzlichen Taschen in den Armen, die wir tragen.

Vielleicht ignorieren wir aktuell unsere Geschichte, weil sie rundherum ignoriert wird? Gegenüber all den Handwerkern mit denen wir seit Monaten zu tun haben ohnedies, weil wir in diesen Kontakten funktionieren müssen, was uns außerordentlich fordert bzw. überfordert. Unsere Nachbar:innen finden, dass wir hier so viel strukturierter sind als sie und sie von uns lernen können. Warum sind Situationen, die wir sehr gut meistern für uns selbstverständlich und wo wir uns schwer tun Grund zur Selbstgeißelung?

Auch von den netten Nachbar:innen, werden unsere Traumata nicht thematisiert. Tut das weh und verletzt, oder ist es heilsam, keinen Sonderstatus zu haben und dauernd um unser Wohlbefinden gefragt zu werden? Wir wissen es nicht. Möglicherweise beides zugleich? Vielleicht akzeptieren uns diejenigen, die uns näher stehen mehr in unserem Wesen und mit unseren Belastungen, als wir es selbst tun? Und weil wir okay sind, wie wir sind und was wir tun, braucht es auch nicht tägliche Erklärungen dazu. So wichtig sind wir nicht, weil alle auch mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Das tut wieder weh, dass wir niemandem wirklich wichtig sind. Man mag uns, aber wichtig sind wir nicht. Oder sind wir wichtiger, als wir denken? Zumindest sind wir eingebunden in eine mittelgroße Gruppe und stehen nicht ganz außerhalb. Das ist für uns sehr viel.

Dass wir einander wichtig werden, braucht es auch Zeit, einander besser kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen. Von allen Seiten.

Leben mit DIS #45: Zu Hause

©Pexels/ Nandhu Kumar

Seit einem Monat wohnen wir in der neuen Wohnung. Wohnen wir schon? Noch ist vollkommenes Chaos. Noch stehen überall Kartons herum und Möbel sind nicht aufgebaut.

Und doch fühlen wir uns wohl hier. Es ist aber alles neu, als wären wir in einer neuen Stadt, dabei ist es nur von einem Stadtrand zur ganz anderen Seite, fast  1 ½ Stunden brauchten wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen diesen beiden Wohnungen. Das ist jetzt nicht mehr notwendig. Wir leben in einem Stadtteil, in dem wir noch nie gelebt haben. Hier triggert die Umgebung kaum, das ist neu. Fast irritiert es uns. Nicht nur fast, es irritiert uns, so als würde eine Selbstverständlichkeit in unserem Leben plötzlich weg sein. Nein, das fehlt nicht, dennoch fehlt die Sicherheit, dass es so bleibt. Wer weiß? Freude ist darüber vorhanden, aber verhaltene Freude..

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Schau dir „Dissoziative Identitätsstörung: Jessie lebt mit 7 Persönlichkeiten I TRU DOKU“ auf YouTube an

Wir mögen gerne hier eine Dokumentation über eine weitere Frau mit einer DIS teilen, in der wir uns absolut wiederfinden.

Auch die Situation wie sie damit umgeht und es möglich ist, es als Außenstehende:r zu ignorieren ist erschreckend und unser Alltag.

Dadurch wird natürlich die massive Belastung nur erzählt und nicht vorgeführt, was wir schätzen. Denn weshalb müssen DIS Betroffene ihre innersten Verletzungen nach außen kehren, noch dazu vor einer Kamera, was für sich schon ein enormer Trigger sein kann, damit ihnen geglaubt wird, wenn es doch von niemandem in dieser Gesellschaft sonst erwartet wird? Wo bleibt bei Frauen, die (sexuelle) Gewalt erfahren haben die Empathie?

Allerdings ist es auch fein, offen über einiges sprechen zu dürfen, wenn es passt, denn über die erlittene Gewalt nicht sprechen zu können bzw. dürfen ist retraumatisierend. Das ist der Zwiespalt beim Umgang mit dem Brechen von dem Tabu selbst (sexualisierte) Gewalt ab dem frühesten Kindesalter erlitten zu haben, dem Zwiespalt beim Versuch das Tabu um DIS zu brechen und zugleich unbeschadet aus diesem Vorgang hervorzugehen.

Hier ist der Link zur Dokumentation:

Schau dir „Dissoziative Identitätsstörung: Jessie lebt mit 7 Persönlichkeiten I TRU DOKU“ auf YouTube an weiterlesen

37°: Ich bin Viele. Leben als multiple Persönlichkeit. Sabrina

Wir wurden vor einiger Zeit von einem lieben Leser auf diese Dokumentation hingewiesen und haben sie vor einigen Tagen gesehen. Haben auch von mehreren von DIS-Betroffenen Kommentare dazu gelesen und uns auch angeschlossen.

Z.B. hier:

https://einblogvonvielen.org/stellungnahme-und-kritik-an-der-zdf-sendung-ich-bin-viele/

Diese Reaktion hier von Sofie wollten wir nun rebloggen und unsere Zerrissenheit mit dem Thema darstellen. Wir sehen viele Probleme an der Doku, aber können Sofie auch in gewisser Weise folgen.

Hier unsere Antwort zur Debatte. Wir haben auch auf Sofie’s Blog noch einen weiteren Kommentar hinterlassen, falls ihr dort noch weiter lesen mögt.

Hoffentlich hilft diese Debatte auch mehr Einblick in die Komplexität der Thematik zu erhalten.

Wir danken allen für ihr Engagement und den Austausch.


Liebe Sofie,
Wir mögen dir zunächst danken für den Text, der uns sehr nachdenklich macht. Ja, auf alle Fälle muss klar sein, dass DIS derart massive, körperliche, sexuelle und psychische Gewalterfahrungen ab frühester Kindheit als Ursache hat, dass eine Heilung, die keinerlei professioneller Betreuung oder Unterstützung mehr bedarf vielleicht lebenslang nicht gelingt und dass es dennoch ein gelungenes Leben sein kann. Dass nicht auffallen, nicht der gelungenere Lebensentwurf ist, denn das ist er in den wenigsten Fällen.

Darum kämpfen wir seit vielen, vielen Jahren, dass unsere Behinderung anerkannt wird und soziale Betreuung und psychologische Betreuung tatsächlich so lange sein darf, wie lange wir meinen sie zu brauchen.

Anderseits verstehen wir auch die andere Seite, stolz darauf zu sein, sich eine Funktionalität bewahrt oder sogar erkämpft zu haben, stolz darauf zu sein, nicht diese Abhängigkeit zu haben. Und dass es auch extrem verletzend ist, dass in dieser Gesellschaft eben entweder NUR die Funktionalität oder NUR die Hilfsbedürftigkeit dargestellt wird. DAS ist es, was uns am meisten verletzt, dass uns jene harte Arbeit an unserer Heilung dann abgesprochen wird, wenn wir nach 25 Jahren wesentlich mehr am Leben teilhaben können und auch stolz darauf sind, das zu können, wir aber dann nicht mehr bedürftig sein dürfen.

Das hätten wir uns gewünscht, dass diese beiden Seiten von DIS gezeigt werden, enorme Funktionalität neben großer Hilfsbedürftigkeit. Und genau das haben wir auch an den Sabrinas gesehen. Im Film war aber der Fokus massiv auf der Hilfsbedürftigkeit. Das hat uns beängstigt, weil es unsere Mitbestimmung in der Gesellschaft in Frage stellt. Diese Balance zu halten zwischen diesen beiden Zuständen, Funktionalität und großes Leid und meist fehlende, oder zu geringe Hilfe hätten wir uns gewünscht zu sehen, weil es genau jene Situation ist, die unser Leben immer massivst belastet hat und noch belastet.

Vielmehr genau dass dieser Versuch die Balance zu halten und die Selbständigkeit wie auch das Leid nicht gezeigt wurden, macht unser Leben enorm schwierig und vergrößert das Tabu und auch die Phantasien, die Uno’s vielleicht von DIS ohnedies bereits haben.

Sofies viele Welten

Screenshot aus der ZDF-Reportage von Julia Luhnau: 37°: Ich bin Viele. Leben als multiple Persönlichkeit.

Das ZDF-Format 37° zeigte am 09.08.2022 in der Reportage von Julia Luhnau persönliche Einblicke in das Leben der 42-jährigen Sabrina aus Freiburg. Sie ist Viele und lebt mit 12 weiteren Persönlichkeiten ihren Alltag. Die Ursachen sind, wie sie selbst im Film sagt, seelische, physische und sexuelle Gewalt in der Kindheit. Wir halten die Aufzeichnungen persönlich für sehr gelungen, weil sie einerseits eine gewisse Vulnerabiilität und Wechsel sichtbar werden lassen, andererseits aber nicht reißerisch und voyeuristisch damit umgehen. Da das Format ausdrücklich deutlich macht Einzelschicksale zu portraitieren, finde ich auch, dass die Sabrinas die einzigen sind, die die Reportage gut finden müssen und weitere Bewertungen fehl am Platz sind.

Was mich jedoch bewegt, sind die Reaktionen anderer DIS-Betroffener auf die Ausstrahlung. Davon handelt dieser Beitrag.

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