Leben mit DIS # 55: ein anderes Frühlingserwachen

Wir wurden als Kleinkind von unserem Vater verkauft und verdrängen es meist. Die Erinnerungen sind vage, der Zugang versperrt. Was unsere Mutter darüber weiß, wissen wir nicht. Die Scham ist zu groß. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Es ist einfach zu ungeheuerlich, um es zu ertragen für uns, deshalb leiden wir darunter. Fürchten mehr darüber zu erfahren, obwohl es uns Freiheit bringen kann, Freiheit bringen würde, das sagt unsere Erfahrung im Umgang mit Erinnerungen sexualisierter Gewalt. Die Freiheit der Erkenntnis und damit die Freiheit auch dieses Kapitel abzuschließen und zu sagen, es ist geschehen, aber heute ist es Vergangenheit.

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Leben mit DIS # 52: Erlittene Deprivation fühlen wagen

Wenn Deprivation vom diagnostizieren Fachbegriff zum gefühlten Schmerz wird …

Unter Deprivation versteht man in der Psychologie ein Zustand der Entbehrung und des Mangels, wobei man verschiedene Arten von Deprivation unterscheidet: Bei der sozialen Deprivation werden Betroffene sozial ausgegrenzt, bei der sensorischen Deprivation werden Außenreize vollkommen ausgeschaltet, und bei der emotionale Deprivation werden Menschen, insbesondere Kleinkinder, emotional vernachlässigt. (…)

https://www.psychologische-fachgutachten.de/glossar/deprivation/

Wenn durch ein Ende der sozialen Deprivation nach Trauma die emotionale Deprivation der Kindheit, von Geburt an, spürbar wird, gibt der Boden unter den Füßen nach. Der emotionale Kraftakt diesen Schmerz zu fühlen ist unbeschreiblich. Um uns zu schützen ist der Wunsch zurück zur sozialen Isolation groß. Es tut so extrem weh, dass auch der Wunsch einfach tot zu sein uns viele Tage, ja Wochen begleitet hat. Bloß der Gedanke, diesen Zustand selbst durch Suizid herbeizuführen blieb uns glücklicherweise weiterhin fremd.

Wie kommt es dazu, diese frühkindlichen Schmerzen fühlen zu können? Was hat sich bei uns getan?

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Wer sind wir, wenn der Überlebenskampf zu einem Ende kommt?

Kommt er das?

Kann das sein? Existieren wir in unserer neuen Umgebung?

Jein. Niemand versteht von DIS und es ist auch kein Interesse daran. Wir dürfen dabei sein, aber es ist irgendwie oberflächlich. Es geht nicht um die Menschen. Wir wissen wenig über die Nachbarn, die uns am nächsten stehen. Wer sind sie wirklich? Was haben sie erlebt? Was hat sie geprägt?

Wir wissen nur wenig darüber. Wir unternehmen nette Dinge mit ihnen, die wir als Zeitvertreib bezeichnen können und als soziales Miteinander. Aber meist oberflächlich.

Die Zeit für zu viel Oberflächlichkeit haben wir aber nicht. Wir wollen sie nicht haben.

So stellen wir uns unser Leben nicht vor. Es heißt uns wieder auf uns zu fokussieren. Was ist unser Weg, jetzt wo wir zumindest bzgl. Wohnung angekommen sind?

Wie sieht unser Platz in diesem Wohnhaus aus? Was ist unser Weg außerhalb? Wie verfolgen wir unsere Ziele?

Das ist gar nicht so einfach. Der Straßenlärm im außen, der uns in der alten Wohnung täglich in höchsten Stress versetzte ist Vergangenheit. Es ist das erste Mal, dass wir nicht nur mit Problemlösung beschäftigt sind und wir merken, dass uns diese Nähe zu uns selbst, die sich dadurch unerwartet ergibt, belastet.

Weshalb unerwartet? Wir konnten uns bislang nicht vorstellen, dass es eine solche Situation geben könnte und wussten nichts über ein solches Gefühl.

Es belastet uns, uns zu fühlen, statt im außen Probleme zu beklagen und zu lösen versuchen. Es scheint, als hätten wir auch davor Kontakt zu unserem Inneren gehabt. Ja vielleicht, dennoch hat das Problem mit Wohnung uns zuverlässig von uns selbst abgelenkt.

Nun sind wir uns einen Schritt näher gekommen und es hält uns nichts mehr davon ab, an unserem Buch zu arbeiten, als wir selbst. Es erfordert mehr Mut, zu uns zu stehen, uns zu erkennen, als wir jemals dachten.

Vermutlich auch eine Erinnerung an die frühe Kindheit, wo genau das mit allen Mitteln massiv unterbunden wurde, ja verboten war. Jetzt heißt es, diesen Schmerz anzunehmen und zu überwinden.

Möglicherweise ist dies die lohnendste und schwierigste Aufgabe unseres Lebens, der wir uns ENDLICH gegenüber sehen. Sie wird uns wohl länger begleiten, vielleicht ist sie Teil des Lebens?

Leben mit DIS #51: Schwäche zeigen

Um eigene Schwäche zu zeigen, braucht es ein Gegenüber, dem wir vertrauen können und Sicherheit.

Beides ist in der jährlichen demütigenden Situation, in der wir beweisen müssen, dass wir noch therapiewürdig sind nicht gegeben. D.h. niemand sieht uns an, wie „dreckig“ es uns geht. Wir sind alles andere als stabil, aber uns nichts anmerken zu lassen, ist Teil des Überlebens-Konzeptes, das sich DIS nennt. Dieses Konzept hilft uns, unsere Würde zu bewahren und im Notfall ganz schnell die Flucht zu ergreifen. Meist nach innen zu einem anderen Innenwesen, das der Lage gewachsen ist. Das ist bei uns ein Innenwesen, das sich nicht spürt und deshalb alles aussitzen kann. Sich wehren war lebensgefährlich, das haben wir uns ab trainiert, vor allem gegenüber Männern, denen wir uns ohnmächtig gegenüber fühlen. Und tatsächlich sind das die meisten Männer.

Auch diese Überlebenstechnik verleitet zu falschen Analysen als unwissender Gutachter.

Wir können nach einem überfordernden und retraumatisierenden Gespräch zusammenbrechen und nahe dem Nervenzusammenbruch tagelang weinen. Wir können auch in der U-Bahn weinen, oder beim Gehen auf der Straße. Aber wir werden niemals im Gespräch mit einem Gutachter oder einer Gutachterin der Kasse weinen. Der Termin der Vorsprache ist schlimm genug, niemals werden wir uns so entblößen. Es kann aber sein, dass derlei von Gewalt-Opfern erwartet wird.

Wir wissen, dass wir Nichts tun hätten können, dass ein anderes Ergebnis als das Therapieende begutachtet worden wäre. Denn der Beschluss stand fest, bevor wir den Raum betreten hatten. Dennoch gehen die Gedanken, was wir anders tun hätten sollen nicht aus dem Kopf.

Zurück zu unserer Reaktion auf die furchtbare Nachricht. Zunächst sind wir im Stiegenhaus zusammen gesackt und haben geweint. Das macht uns nichts. Wenn wir auf der Straße weinen, sind wir anonym. In der Stadt ist es den meisten Leuten egal, ob wir weinen und jene, denen es nicht egal ist, tun uns gut, wenn wir ihr Mitgefühl spüren. Wir können auch aus dem Schlaf erwachen mit dem Gedanken uns das Leben zu nehmen, über den Gedanken erschrecken und ihn dennoch für gar nicht so abwegig betrachten. So waren unsere Tage nach dem Gespräch mit dem Gutachter der Kasse. Um einen solchen Gedanken an ein von uns willkürlich herbei geführtes Ende zu entwickeln, braucht es bei uns enorm viel Verzweiflung, denn wir sind der Ansicht, dass Herausforderungen im Leben dazu da sind, bewältigt zu werden. Wir sind auch noch immer der Überzeugung, dass wir für jede Aufgabe das geeignete Wissen, Kraft und Ausdauer besitzen. Aber es wird immer schwieriger manche Innenwesen davon zu überzeugen, dass es so ist.

Generell haben wir keine Angst, uns unseren Lebensaufgaben zu stellen. Was uns aber enorme Angst macht ist, als alte Frau den Fängen der Psychiatrie vielleicht einmal hilflos ausgeliefert zu sein. Bis dahin müssen wir gesund genug sein, dass  derlei nicht passiert. ….. Was wenn uns die Zeit davon läuft?

Vielen herzlichen Dank fürs Lesen. 🌻🌸💖

Wir dürfen und sollen, oder gar müssen gut behandelt werden!

Ein lieber Nachbar hat uns geholfen, unsere Wohnung für die Montage der Küche frei zu räumen. Danach haben wir noch etwas getrunken und er ist so vorsichtig und einfühlsam. Er spürt, dass es uns nicht gut geht, wir aber dennoch Ansprache brauchen und schenkt uns Zeit und Aufmerksamkeit. Wir dürfen sein, wie wir sind und vielleicht wurden wir in Ruhe gelassen, weil wir die Ruhe gebraucht hatten?

Wir verstehen so wenig vom Zusammenleben mit Menschen, von respektvollem und liebevollem Umgang mit uns und dass wir es verdienen genau so behandelt zu werden. Dass uns das ebenso zusteht, wie anderen auch.

Wir haben enorm viel zu lernen hier in dieser neuen Wohnung mit einigen lieben Nachbarn in recht ruhiger Lage. Wir haben für diese Wohnung gespart, gekämpft, sehr viel Ausdauer haben müssen, ganz oft gezweifelt und mit uns gerungen, doch es scheint sich zu lohnen. Es gibt Zeiten, da macht uns diese große Veränderung in unserem Leben ziemlich viel Angst und wir glauben nicht daran, dass das möglich oder gar erlaubt ist für uns. Aber das ist es.

Heute haben wir eine Ahnung davon, dass das Leben gut werden kann für uns. Wir wollen weiter daran arbeiten.

Wenn Scham und das Gefühl alles falsch zu machen das Leben bestimmt.

Da haben wir zum ersten Mal in unserem Leben genug Geld gespart. Und zwar sehr gespart und leisten uns damit schöne Möbel, die für den Rest unseres Lebens halten sollen.

Und ja, wir haben in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, wenig für unseren Alltag auszugeben. Ein Restaurant Besuch ist Luxus, den wir uns bewusst nur selten leisten. Es ist uns auch nicht wichtig, unser Geld dafür zu verwenden.

Wir teilen unser Geld genau ein. Unsere Ausgaben decken sich selten mit den Ausgaben des „durchschnittlichen“ Haushalts. Wenn wir mit uns sind, sind wir damit im Reinen. Gegenüber anderen schämen wir uns dafür die Entscheidungen unseres Lebens vielleicht außergewöhnlich zu treffen. Wir schämen uns weil wir glauben anders zu sein, weil wir nicht erfassen können, was von uns erwartet wird, dass wir gemocht werden.

Wir sind gewohnt, dass wir anders sein müssen, als wir sind, um dazu zu gehören. Wenn wir jetzt so sein sollen, wie wir sind, dann erschüttert es unseren Kosmos. Dürfen wir das glauben? Ist es tatsächlich so? Kann nicht ein kleiner Fehltritt, wie z.B. für unsere Verhältnisse teure Möbel zu kaufen, obwohl wir doch immer sagen wir müssen sparen bewirken, dass wir abgelehnt werden? Wird uns dann Lüge unterstellt oder anderes?

Oder die Unmöglichkeit ein nettes Gespräch zu führen, wenn wir gerade die Möbelmontage organisieren. Es gibt keinen Zeitdruck und ein lieber Nachbar hilft uns. Es ist unmöglich mit ihm einige Worte nett zu wechseln, weil ein anderes Innenwesen zuständig ist. Wenn dieses Innenwesen jedoch heraus kommt und übernimmt, ist der Tag erledigt und wir kommen mit der Arbeit nicht weiter. Das Innenwesen wird nicht so schnell wieder verschwunden sein und kümmert sich nicht um „Banalitäten“ wie notwendige organisatorische Aufgaben. Zudem ist Smalltalk einfach anstrengend.

Was denken unsere lieben Nachbarn über uns? Können sie mit uns etwas anfangen? Wir glauben eher nicht. Aktuell geht es uns umgekehrt zumindest öfter so. Gespräche sind nicht locker, sondern gezwungen. Hoffentlich wird es besser, sobald die Küche montiert ist und wir zur Ruhe kommen können.

Die Badezimmer Möbel sind bereits montiert und wir freuen uns sehr. Vielleicht sollte unser Wohlbefinden in unserer Wohnung tatsächlich wichtiger sein, als anderen zu gefallen versuchen?

Wenn nur ….

Wenn wir nur nicht so oft das Gefühl hätten uns verteidigen zu müssen, dann wäre unser Leben leichter und wir vielleicht auch eine angenehmere Zeitgenossin.

Aber wie oft schlucken wir unangenehme Situationen hinunter, um gemocht zu werden. Hilft es?

Wenn wir nicht dieses Leben hätten, das wir nun einmal haben, dann würden wir vielleicht nicht glauben uns verteidigen zu müssen und perfekt sein zu müssen.

Wenn wir nicht all das erlebt hätten, was wir erlebt haben,

wenn unser Leben nicht so von einem Defizit geprägt wäre, gemessen an gesellschaftlichen Standards, dann würden wir mehr verstanden werden und dazu gehören ….. wozu überhaupt?

Wenn wir Unos verstehen könnten und sie uns, wäre es ein komplett anderes Leben. Aber vielleicht ist es dieses Leben außerhalb der gesellschaftlichen Normen, das unser Leben ausmacht und das wir trotz aller Belastungen auch schätzen?

Wenn unser Leben nicht so wäre, wie es nun einmal ist, wären wir dann noch wir? Oder wären wir gerne anders?

Wir mögen uns, wie wir sind nur die Einsamkeit des Unverständnis tut zu oft weh. Sowohl unser Unverständnis für Unos, wie auch deren Unverständnis für uns schmerzen.

Der Blick von außen ist erhellend und ernüchternd zugleich. Aber es ist unser Leben. Zweifel sind erlaubt, aber oft sinnlos.

Leben mit DIS #48: Trigger- und Fashbackflut

Es war für uns unvorstellbar, ja nicht einmal annähernd absehbar, wie sehr uns der Kauf von Möbeln für die neue Wohnung herausfordert. Nicht alleine, weil wir das alles zu massiv gestiegen Preisen machen müssen, die Entscheidung schwer fiel, oder die Planung von Küche anstrengend ist? Das sind nur lächerliche Kleinigkeiten im Vergleich zur wirklichen Herausforderung: Die Überschwemmung mit Triggern und Flashbacks auf unterschiedlichsten Bereichen nahezu zeitgleich ohne ausreichend Zeit zu haben, diese einzuordnen oder sie bewusst zu machen.

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„Das Leben ist schön.“ …. Ist es das?

Gestern legte uns unsere Therapeutin diesen Satz in den Mund. Sie versuchte es zumindest und seither rotiert er in unserem Kopf. Er ist eine Lüge, zumindest für uns. Das Leben hat endlich schöne Momente und mit Glück und viel Arbeit werden es mehr, aber es ist nicht schön und wir haben keine Ahnung, wie man das denken kann.

Für eine solche Aussage fehlt es an so enorm viel Gerechtigkeit in dieser Welt. Lebensziel kann sein, das Leben schöner zu machen.

Gut, wir versuchen diese Aussage zu verstehen und formulieren das Zitat um: „Mein Leben ist schön.“  Darf es das denn und was würde es bedeuten?

Schreibpause …..

Stunden, Tränen, Kopfschmerzen und Selbstverletzung später taucht aus den Tiefen der Erinnerung der Beginn der gestrigen Therapiestunde auf, wo wir erzählten, wie schwierig es für uns ist, uns über die bestellten Möbel zu freuen, weil wir als Kind z.B. keine neuen Möbel in unserem Zimmer bekommen haben. Wir hatten unsere Schulbücher in einem alten, kaputten Kühlschrank, als Schreibtisch einen alten, hässlichen Schreibtisch und unser Bett fiel alle paar Monate auseinander, was wir nicht zu beklagen wagten. Unser Bruder hingegen hatte neue Möbel bekommen. Dann erzählten wir, wie uns unsere Mutter unser Erspartes gestohlen hatte, und wir haben fast alles gespart gehabt. Plötzlich war das Sparbuch leer. Alles abgehoben, ohne uns zu fragen. 20.000,- Schilling weg. Das war 1982 ganz schön viel Geld. Es ist immer diese Wertlosigkeit, die uns vermittelt wurde, und die steckt tief in uns. Folge noch immer im Heute ist die stete Verwunderung, wenn jemand nett zu uns ist. Oder die enorme Anstrengung, diese Wohnung einzurichten, weil wir es uns selbst nicht leicht erlauben können. Nein, nicht nur schlimme Erfahrungen im Alltag triggern, auch gute Erfahrungen tun zu oft sehr, sehr weh.

Wir erzählten davon und es kamen die Tränen und die Therapeutin fragte, wo denn die Wut sei. Wir fühlten sie nicht, immer nur Erschütterung. Allerdings war damals Wut da und wir meinten, dass die Wut vielleicht weniger wurde, weil wir den Kontakt abgebrochen haben und wir wissen, dass das den Eltern nicht egal war. Und heute ist die Mutter eine alte, hilflose Frau.

Warum erzählen wir hier diese Details, weil wir nicht verstehen, wie es dann zum Schluss der Stunde zur Aussage: „Das Leben ist schön!“ kommen kann? Wie kann das suggeriert werden, wenn ca. 1h davor so viel Schmerz da war, den wir doch „nur“ abgespalten hatten, weil wir ein wichtiges Therapieprogramm hatten. Das hat viel Kraft gekostet, wurde halt nicht registriert und dadurch nicht wertgeschätzt.

Und wieder einen Tag verloren. Das ist nicht schön. Tun wir uns nur leid? Wann gehen die Schmerzen weg? Dann vielleicht wäre das Leben schön! Bis dahin stemmen wir uns gegen diese inneren Abwertungen und Schmerzen und tun alles, dass das einmal gelingen möge.

Leben mit DIS #47: Vergleich mit Leuten ohne Trauma

Das Schwierigste an unserem aktuellen Leben sind Vergleiche. Vergleiche innerhalb, die immer zu unseren Lasten ausfallen, weil diese unsere Fähigkeiten und außergewöhnlichen Belastungen ausklammern.

So vergleichen wir das Leben derer um uns herum, die alle bereits weitgehend eingerichtet sind, mit unserem Wohnungschaos und sind deprimiert. Mehr noch Innenwesen machen uns herunter, dass wir unfähig wären, weil wir das noch nicht geschafft haben, weil wir doch viel zu wenig tun.

Dabei irren solche Vergleiche immer und so auch in unserem Fall. Die ausführliche Hilfe, die unsere Nachbar:innen von ihren Familien bekommen fallen bei uns weg. Auch hatten wir 2 Monate mit Baumängeln zu kämpfen und haben diese bis auf eine Kleinigkeit erledigt, was in Nachbarwohnungen nicht der Fall war und ist.

Und last but not least, ignorieren wir unsere Gewaltfolgen, die andere nicht betreffen, oder zumindest nicht in diesem Ausmaß. Natürlich haben andere auch ihre Geschichte mit guten und schlechten Aspekten. Tatsächlich hat uns eine liebe Nachbarin von einer sehr schlimmen Erfahrung in einer Beziehung erzählt, die sie zum vollständigen Zusammenbruch führte. Und dennoch ist sie sich bewusst, dass das kein Trauma war, im Sinne von nachhaltig und mit allen Folgen, wie Flashbacks, schwere physische Belastungen, wie massive Schlafstörungen, Verdauungsstörungen, und auch nicht in dem Ausmaß mit den psychischen Folgen einer PTBS, wie Trigger, oben genannte Flashbacks, depressive Symptome, Selbstverletzungstendenzen, Suchttendenzen, Suizid Gedanken etc.

Die anderen wissen es, aber in unserem Selbstverständnis, sehen wir andere immer als ebenfalls schwer traumatisiert, weil wir keine Vorstellung haben von einem anderen Leben, das leichter wäre. Wir beobachten es, sind verwundert, was Menschen alles schaffen können an einem Tag und sehen nicht, dass sie mit einer leichten bis mittelschweren Handtasche, vielleicht auch mit einem Reisekoffer als Gepäck durchs Leben gehen und verleugnen unseren Rucksack voll Steine am Rücken und die zusätzlichen Taschen in den Armen, die wir tragen.

Vielleicht ignorieren wir aktuell unsere Geschichte, weil sie rundherum ignoriert wird? Gegenüber all den Handwerkern mit denen wir seit Monaten zu tun haben ohnedies, weil wir in diesen Kontakten funktionieren müssen, was uns außerordentlich fordert bzw. überfordert. Unsere Nachbar:innen finden, dass wir hier so viel strukturierter sind als sie und sie von uns lernen können. Warum sind Situationen, die wir sehr gut meistern für uns selbstverständlich und wo wir uns schwer tun Grund zur Selbstgeißelung?

Auch von den netten Nachbar:innen, werden unsere Traumata nicht thematisiert. Tut das weh und verletzt, oder ist es heilsam, keinen Sonderstatus zu haben und dauernd um unser Wohlbefinden gefragt zu werden? Wir wissen es nicht. Möglicherweise beides zugleich? Vielleicht akzeptieren uns diejenigen, die uns näher stehen mehr in unserem Wesen und mit unseren Belastungen, als wir es selbst tun? Und weil wir okay sind, wie wir sind und was wir tun, braucht es auch nicht tägliche Erklärungen dazu. So wichtig sind wir nicht, weil alle auch mit ihrem eigenen Leben beschäftigt sind. Das tut wieder weh, dass wir niemandem wirklich wichtig sind. Man mag uns, aber wichtig sind wir nicht. Oder sind wir wichtiger, als wir denken? Zumindest sind wir eingebunden in eine mittelgroße Gruppe und stehen nicht ganz außerhalb. Das ist für uns sehr viel.

Dass wir einander wichtig werden, braucht es auch Zeit, einander besser kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen. Von allen Seiten.