Es geht uns doch endlich wieder gut, oder?
Der extreme Stress der letzten Monate mit der Auflösung der Wohnung unserer Mutter, die sie in einem Zustand der Verwahrlosung zurück ließ, ist nahezu vorbei.
Am 24.12. treffen wir uns mit lieben Nachbarn zum Essen. Einfach so, ohne viel Klimbim. Das werden doch einmal gute Weihnachten.
Unsere Hündin S. weiß es besser. Wir sind nicht authentisch. Wir spalten ab und wollen die Situation nicht sehen. Zu Weihnachten wurden wir verkauft. Es ist die schrecklichste Zeit des Jahres. Der Erzeuger war über alle Maßen aggressiv. Das haben wir abgespalten, wollten es nicht erinnern. Die Innenwesen, die noch immer zittern nicht wahrnehmen. Zudem haben wir große Angst vor der Auseinandersetzung mit der Gesundheitskasse um die Weitergewährung unserer Therapie, die unmittelbar bevorsteht. Auch daran wollen wir lieber gar nicht denken, es nicht fühlen. S. Reaktion ist, dass sie Angst vor uns hat. Sie zittert vor uns. Das ist für uns nicht zu ertragen, es macht uns auch aggressiv und wütend.
Das ist eine von uns oft angeprangerte Reaktion wenn wir andere Menschen spiegeln. Jetzt erkennen wir, es tut einfach enorm weh, auf etwas hingewiesen zu werden, mit dem Frau/Mann sich aktuell nicht beschäftigen will. Etwas mit dem die Beschäftigung schwer fällt, weil es so schmerzhaft ist. Allerdings sind wir dankbar, dass S. es dennoch tut. Denn wir haben abgespalten, weil zu Weihnachten niemand wissen will, wenn es jemandem schlecht geht. Wir sind zum Essen eingeladen, aber wir werden eher keine Unterstützung bekommen, wenn Erinnerungen kommen. Wir wagen sie auch nicht einzufordern. Wir wollen das Essen nicht mit unseren Geschichten sprengen. Wer weiß, ob das klug ist?
S. weiß nichts von Weihnachten. Es ist ihr einfach egal. Ihr ist wichtig, dass es ihr gut geht. Und ihr geht’s gut, wenn wir authentisch sind und für sie daher berechenbar. Als die Tränen kamen, wir wütend und verzweifelt waren, war es für sie in Ordnung und sie setzte sich zu uns. Jetzt war es für sie stimmig und sie begleitete uns durch die Emotionen. Lässt aber auch nicht zu, wenn wir uns zu sehr leid tun wollen. Sie ist Expertin für Emotionen.
Diese Hündin ist an der richtigen Stelle bei uns. Sie ist uns charakterlich immer wieder so ähnlich. Aber vielleicht spiegelt sie nur unseren Charakter? Sie könnte jedoch auch anders auf unsere Unausgeglichenheit reagieren als mit Angst. Angst ist auch unsere Reaktion auf emotionale Schieflagen. Wir kennen derlei so gut. Wir haben aber auch bereits gelernt, Menschen zu konfrontieren, wenn es uns wichtig ist und wir die Schieflage intellektuell einordnen können. Das kann S. vermutlich nicht. Sie fühlt nur, dass das dargestellte Gefühl nicht der Wahrheit entspricht. Ihre Art darüber zu sprechen, dass etwas nicht stimmt ist eine andere. Es ist über ihren Körper. Sie geht in den Widerstand und beginnt zu zittern.
Sie ist auch zu klein, um mit uns kämpfen zu wollen. Auch hat sie nur noch 4 Zähne. Denn auch Chihuahuas können ordentlich beißen. S. kann es nicht mehr. Das weiß sie. Wir sind ihr körperlich überlegen. Das würden wir nie gegen sie ausnutzen. Hoffentlich weiß sie das mittlerweile auch?
Da hat sie schon anderes erlebt. Sie wurde geschlagen. „Es war doch nur ein Klaps.“ (Immer wieder) Das ist für jedes Lebewesen zu viel. Es erschüttert das Vertrauen und hinterlässt Narben auf der Seele. Zudem haben wir erfahren, dass sie drei Jahre von ihrem letzten verstorbenen Besitzer ignoriert wurde. Sie lag unter dem Bett und wartete. Er ging nie mit ihr zum Tierarzt. Ihre Zahnschmerzen waren egal. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.
Vernachlässigung ist immer eine Parallele mit unserem Leben. Wir kennen uns aus mit Trauma bei Menschen. Mit einem traumatisierten Hund zusammen leben, wo wir einander vermutlich triggern, ist eine neue Aufgabe. Verständnis füreinander und auch die Bereitschaft zu lernen haben wir jedoch. Langsam wachsen die Zuneigung und das Vertrauen auf beiden Seiten.
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